Traumaberg

Gleich beim ersten ernsthaften Einsatz am Berg in der vom Wetter prima unterstützten alpinen Auszeit kam die erkenntnisreiche Erinnerung noch weit vor dem Gipfelziel jäh wie ein Blitz. Im Zwiegespräch bergan tauchte wie so oft die Frage nach dem Warum auf. Warum schwitzen, schnaufen, quälen. Warum die permanente aerobe Kontrolle und warum bist du eigentlich hier. Die Verlockung auf Aussicht? Oder etwa Traumabewältigung?

Kinderlandverschickung

Jene Massnahme sorgte für Furcht vor, während und noch lange nach dem Aufenthalt in Oberstdorf im Allgäu. Fünf quälend lange Wochen dauerte die Zeit in einem ärztlich verordneten Kinderheim. Mehrbettzimmer, alle anderen Jungs älter und grösser. Haut auf der Frühstücksmilch, Kümmelgeschmack im Marmeladebrot, viele Wanderungen und tägliche Bewegung an der frischen Luft. Zum ersten Mal im Leben wurde vom Stadtkind dort Kuhdung gerochen. Und das täglich und ausgiebig. Kühe aber interessant, die hatten laut schellende Glocken um den Hals.

Für den gerade noch Sechsjährigen ein gravierender Einschnitt – der Abschied bei der Übergabe im Stuttgarter Bahnhof war schlimm und voller Trennungsschmerzen. Lange hielt sich der Gedanke an eine Art familiärer Verstossung. Warum sonst musste ich so weit weg in eine bergige Gegend, von der der Kinderarzt überzeugt war, dass sie die Konstitution stärke. Gut 20 Jahre vorher hat der doch bestimmt die Tauglichkeit der Hitlerjugend attestiert. Mir kleinem Pimpf hatte er bereits Lebertran verordnet. Lieber Lebertran als Berge, soviel stand fest. Doch Doktor Herz setzte die Verschickung durch, war diese nicht auch ein Relikt aus dem schrecklichen Reich?

Post-Allgäuer Drama

Von den Eltern wurde ein wenig Sackgeld mitgegeben, das als grosser Schatz angesehen wurde, welcher unbedingt der Wachsamkeit bedurfte. Waren es ein Fünfmarkschein oder deren zwei? Jedenfalls reichte es für eine Ansichtskarte, für die beim Schreiben noch Hilfe der dortigen Schwestern benötigt wurde; die Einschulung folgte dann erst im Herbst darauf. Dass die Miniatur-Kuhglocke, welche fast täglich durch die Schaufensterscheibe des Souvenirgeschäfts angestarrt, taxiert und natürlich erst nach mindestens ebenso oftmaligem Nach- und Durchrechnen (Budget!) ausgewählt und unter meiner Zeugenschaft eingepackt wurde (Schwestern halfen beim Kofferpacken am Vorabend der Abreise) nach der freudigen Rückkehr aus dem Straflager beim Kofferöffnen nicht mehr im dem selbigen aufzufinden war – Drama pur!

Abgrundtiefe Traurigkeit gepaart mit blankem Entsetzen gefolgt von massloser Enttäuschung, fiel doch der Verdacht auf die grossen Jungs im Mehrbettzimmer, die bestimmt die Glocke aus dem Koffer nahmen, als ich schlief. Anders war dieses Ungemach nicht zu erklären, zumal ein Film von der in Seidenpapier eingewickelten Glocke am bestickten Lederband zuoberst im Koffer immer wieder ablief. Allgäuer Aufenthalt also recht bescheiden und nun blieb nicht mal ein Andenken.

Bergecho

Als 30 Jahre später der Corvatsch in Bünden heimtückisch mit einem Kreislaufkollaps drohte, weil leichtsinnig schnurstracks auf 3.300 hoch gegondelt wurde, half schnell die Büchse Cola, um gerade wieder genesen an der Talstation noch den ehrfürchtigen Blick eines orthodoxen Jünglings auf das IDF-Shirt zu erhaschen. Nein, mit Bergen schien weiterhin keine Symbiose möglich.

Wenig später dann ein Trip nach Südtirol und die hübsche Terrasse des Ausflugslokal zeigte Bergsicht auf die Dolomiten oder sonst was, jedenfalls live mit einem wohl gealterten und kenntnisreichen Luis-Trenker-Verschnitt bei Speis & Trank rustikaler Art öffnete die Augen auf etwas, was zuvor nicht gesehen oder vielmehr spürbar war: nämlich Resonanz.

Denn fast nichts macht mehr Freude, als den Kampf mit sich selbst im Einklang zu beenden. Und wenn dies im Interim zwischen Erde und Himmel geschieht, entsteht dabei manchmal sogar eine Art Wohlklang, eine derart positive Schwingung mit der umgebenden Natur, dass vielleicht gar ein Juchz entfleucht. Und dazu dann gerne ein Gewürzbrot mit süssem Aufstrich, aber bitte keine Milch mit Haut.

 

Herbstfrische

Anreise

Die Südostbahn nach Locarno wegen Röhrenproblem im Gotthard wie üblich gut besucht. Am Urner See wurde einer Mitreisenden, die im Hang auf ihrem Koffer sass der eigene Sitzplatz angeboten. Sie um 10 Uhr erkennbar nicht ganz nüchtern, lehnte aber ab, da sie ihr Quantum Schnaps noch in Ruhe goutieren wollte. Litt wohl an Reisefieber auch.

Der Pronto Shop am Etappenziel hat täglich von 6 bis 23 Uhr geöffnet, Transitstrecke halt und praktisch für die Kalorienzufuhr. Auto Uri hat das Postauto ersetzt und die Frequenz auf Stundentakt erhöht. Leider aber entfällt nun der Transport der Milchkannen auf dem Anhänger; schade aber auch, Hänger wäre sicher praktisch für Velo-Verlad.

Obwohl die Kabine der Seilbahn mit nur sieben Personen (davon zwei Kindern) besetzt war, wurde die Frage nach einer Mitfahrgelegenheit mit einem kategorischen NEIN verweigert. An der Kabine ist die maximale Personenanzahl mit acht angeschrieben. Egal, die Gondeln waren fast non-stop unterwegs, da eine Hochzeitsgesellschaft oben feiern wollte. Mit einigen dazu eingeladen Twens, meist in Pärchenform, ging es dann nach oben, natürlich zu acht.

Reisestress

Oben wurden die Rinderherden sichtlich nervös und schon etwas erregt, als die Reisetasche wegen schierem Übergewicht auf Rollen den Pfad entlang donnerte. Die Reaktion der Bullenherde sorgte für eine gewisse Anspannung, da beruhigendes Zureden nicht half – es wurde munter weiter geblökt und von überall kamen immer neue Tiere im Galopp an den Weg, schauten und schnaubten.

Aber gut gibt es diese dünnen Bänder mit oder ohne Strom, welche meist rhythmisch schnalzen und die konditionierten Tiere tatsächlich auf kurze Distanz hielten. Auf dem etwas begrasten Mittelstreifen gewechselt machten die Rollen nurmehr gedämpften Lärm, die Tiere muhten nun nicht mehr, aber gaben weiterhin beidseitigen Geleitschutz der erst endete, als eine weitere Begrenzung der Weide erschien, auf die tapfer und zielsicher zugehalten wurde. Die Viecher blickten dem Störenfried noch lange nach, selbst als nach einem halben Kilometer der Hügel zum Ferienhaus erklommen wurde. Sicherheitshalber wurde die direkt vor dem Domizil liegende Jungbullen-Weide gar nicht erst nicht gequert, sondern wagemutig ein Stück Stacheldrahtzaun hochbeinig überstiegen. Doch was musste bei der Gepäckaufgabe festgestellt werden – die an den Henkeln der Rumpelkiste angebrachten Renegades waren weg! Fressen Rinder Lowa?

Durchreise

Keine allzu grossen Sorgen, war der grosse Bruder von Meindl ja ebenfalls am Start und fix an den Füssen montiert, da die Vollledernen schlicht zu schwer fürs Gepäck. Und sowieso stand noch ein Trip ins Reusstal an, da das am Bahnhof parkierte Velo noch abgeholt werden sollte. Und beim Abstieg siehe, beide Lowa nicht verfuttert sondern warteten brav nebeneinander am Wegesrand. Mit Auto Uri also wieder runter, vorbei am Tag der offenen Tür bei Weltmarktführer GIBO AG, der erstaunlich viele Ürner anlockte. Velo sprang sofort an und auch ohne Plan fand es den direkten Weg zum Tell-Denkmal, wo schräg gegenüber der Maroni-Mann balkanische House-Musik abspielte.

Rückreise

Tour retour dann eher Tortour – am See entlang alles leicht und flüssig, aber die 600 Höhenmeter reine Hölle. Vor allem im Kehrtunnel, wo die Motorfahrzeuge aufgrund der eigenartigen Akustik ein wahrhaft donnerndes Geräusch verursachten, welches wie zukommende Panzer tönte. Als später ein fetter Traktor plus Anhang einfuhr, kamen Gedanken an eine mächtige Lokomotive mit Panzerbegleitung auf. Oft musste eher gestossen als getreten werden, das Einkaufserlebnis wog schwer.

Endlich im Hauptort angelangt die notwendige Atempause zum kurzen Gang zum Fistbruder, der mit etwas Wasser in Kreuzform auf dem Grab geehrt wurde. Eigentlich war die 17 Uhr Gondel laut Marschtabelle geplant, doch der heftige Hungerast führte rasch zur völligen Erschöpfung. Tatsächlich wurde den ganzen langen Tag vergessen zu essen, und das ohne Frühstück.

Zwischenlager vielleicht ratsam

Die immerhin brutalen 3’600 Höhenmeter brutto trugen bestimmt auch noch ihr Scherflein zum dann doch überraschend rapiden Verfall des Kreislauf- und Stoffwechselsystems bei. Dafür konnte am Wasserloch an der Talstation das Flüssigkeitsdefizit etwas reduziert werden, da die 17.30er noch gemütlich abwärts schwebte. Aufgrund der hitzigen Ausdünstungen danach waren die Fenster der Kabine flugs beschlagen, obwohl die Gondel siebenfach unterbesetzt war.

Rückblick aus Gondel im Abendlicht auf Schlieren und Uri Rotstock

Heimreise

Oben dann die Hochzeitsgesellschaft im vollen Ornat, Fototermin in der Restsonne. Kurzes Grüezi im Alpbeizli, die Wirtin gab mir statt «mit» den sauren Most «ohne». War jedoch genau dir richtige Medizin für die Unterzuckerung. Labsal nur Hilfsausdruck. Auf dem Heimweg wurde dann im schwindenden Tageslicht Filmstar Aschwanden Sepp erblickt, der mit Sense in der Hand von einer der steilen Hänge abstieg. Beispiel für Mensch-Natur-Symbiose: Wildheuen könne man solange wie es das Wetter erlaube, also bis in den Oktober hinein. Interessant: Wildheuen beugt Lawinen und Erdrutschen vor.

Nach dem stärkenden Abendbrot dann einige vergebliche Suchläufe und die Überraschung im DAB-Empfänger: auf DLF tatsächlich ein Schweizer Idiom. Das wirklich tolle Hörstück mit und über den Schriftsteller Gerhard Meier wurde extra für den happy Hobbyschweizer ausgestrahlt. Es gibt sie also doch: pure positive Bergstrahlung!

Hitziges Bergeln

Die fast völlig ausgetrockenete Luft bildet die Konturen der bergigen Landschaft scharf ab. Alles scheint nah und fern zugleich. Eine temporäre Verharmlosung des Unbills der kommenden Wetter. Die anhaltende Seuche der Irr- und Umwege trotz Ortskenntnissen wurde direkt vom Hausberg importiert. Aufstieg dennoch in Rekordzeit, Tagesausflug gerettet – der Trainingsfleiss scheint Wirkung zu zeigen. Bewusste Trinkpausen erlauben dem Puls die Warnzone zu verlassen. Pater Michael empfiehlt anlässlich der Hitze zwei Bier. Die Alphörner schwören auf Wasser. Eine Warteschlange an der begehrten Grillierstation lässt nurmehr eine Cervelat zu. Die beim Warten dort angetroffene Ex-Wirtin vom Hotel Uri Rotstock war einst auf demselben. Wegen Schwierigkeitsgrad wurde der wunderschöne pyramidenförmige Gipfel bislang stets ausgeschlossene, sieht aber schon sehr verlockend aus. Der rüstige Holzhacker aus dem Isenthal inspiziert die Vorräte auf seinem gemächlichen Kontrollgang. Den frischen Ürner Chrütertee verspricht Knieweis auf Ende September. Passt perfekt zur Herbstklausur mit Handwerkstag.

Summertime

When the weather is easy

Warm, aber nicht zu warm. Dank Meteoblue keine gewittrigen Überraschungen am Scheitelpunkt und die gute Saisonvorbereitung waren Voraussetzungen für eine Testtour von Nidwalden über Uri ins Engelberger Tal. Die ersten Höhenmeter per Gondel, erstens weil Anreise. Und zweitens weil die «Zmorgegondeln» als Blickfang es wert, aber sowas von schräg sind: quasi im Loop vom Vierwaldstätter See mit der Rigi und dem Pilatus im Blick fast anderthalb Stunden lang rauf und runter fahren. Tatsächlich sassen da vor allem Pärchen drin und liessen sich Essen und Aussicht schmecken. Meine Gondel war Frühstücktischlos, doch während der Auffahrt sausten an die sechssiebenacht Liebesgondeln auf der Gegenspur vorbei. Willkommen im Heidiwitzka.

Sanfter Beginn, hinten schemenhaft die Mythen

Zmorge

Frühstück für unterwegs war vom Wandersmann in Bircher Art brav zuhause erst gebrüht, dann gerieben und schliesslich gerührt worden und spielte als Zusatztreibstoff beim Anstieg über die schwarze Piste die energetische Hauptrolle. Leider aber durften wegen der Tupperware die Grödel nicht mitkommen, was später schon noch etwas bereut wurde. Das eine Mal wo sie mit durften blieben sie aus reiner Faulheit im Rucksack, im bescheuerten Kunstschnee beim Endspurt auf die Diavolezza. Die neue Erkenntnis lautet 36 Liter Traghilfe mindestens bei Zweitagestour. Doch hinterher ist man immer schwerer.

Schwarze Piste

Auf der wandertechnisch langweiligen Piste kurz vor der Bergstation vom Skilift einen E-Biker gesprochen, der sich zwar weit rauf traute, aber kleinlaut meinte es ginge dort oben nicht weiter. «Schon peinlich» gab er zu, doch das Tagesmotto lautet Vorsicht und Langsam, was kundgetan und eine gutes Runterkommen gewünscht wurde, welches er schiebend, bremsend und quietschend alsdann in Angriff nahm. Mit dem Velo übern Pass gibts doch sonst nur im Reality-TV. Im Hochgebirge erstaunlich oft und scheinbar sogar zunehmend reichlich Naivität am Start. Ist akribische Vorbereitung etwa eine Alterserscheinung?

Rekognoszierung auch im letzten Anstieg kurz vor den vermaldeiten Schneefeldern Trumpf; die kurzen Begegnungen wurden nach dem Zustand und Gangbarkeit gefragt. Zwar ortet die Rega prima, doch solo immer Extraproblem. Dank Stockeinsatz und step-by-step gelang die zögerliche Traverse durch den nicht wirklich Vertrauen erweckenden Restschnee. Wenn schon Gipfel und ganze Berge gerne mal abrutschen warum nicht ein glitschiges Altschneefeld? Atmen, Konzentration, Augen auf und durch. Als Tipp im Fall: möglichst schnell Rückenlage mit Füssen voraus.

Mehr Restschnee als im ganzen Winter zu Züri

Hoch, aber nicht zu hoch

Oben alles prima. Der geplanten Gipfel blieb (reichlich Schneefelder!) rechts liegen. Aufgehoben ist nicht aufgeschoben meinte ich lapidar zu den Entgegenkommenden auf dem Pass, die mir wohltuend beipflichteten. Zudem hatte ich Stella ja versprochen am Stück heil retour zu kommen. Weil Montags in der Zeitung immer Nachlese in Sachen Leichtsinn. Dem ollen Schnee nach dem Pass nicht mit ganz soviel Respekt begegnet, weil Südwestseite und weniger steil. Wie bei Lawinenlage, Nord- und Osthang immer kritischer.

Blick aufs gelobte Land

Eng und kurvig dann der Pfad abwärts, das Hochtal bereits in Sicht. Linkerhand wurden Holzpflöcke für die Alpweiden eingeschlagen. Dumpfes Bumm-Bumm-Bumm, das ist Senn-Kultur; Latten hochtragen auf 2000, einzäunen Meter für Meter für gerade mal drei Monate. Pflöcke und Zaun wieder raus, weil Schneelast macht alles nieder und nach neun Monaten da capo. Unglaublich wie bald jeder Quadratmeter genutzt wird (das Urner Wildheuen ist wahrlich spektakulär) klar – hochsubventionierte Alpwirtschaft, trotzdem bleibt es harte Handarbeit in steilen Hängen.

Die Vorhänge sind schön kariert, aber hätte der Wegweiser nicht mittig am Fenster ausgerichtet werden können? Immer diese Nachlässigkeiten von der Landjugend.

Etappenziel

Der stramme Max à la Alp als Vorspeise nach dem Touchdown versöhnte und belohnte reichlich. Der Ausblick aus dem Zimmer verwies auf Segen und die nächste Etappe. Omen also gut. Drum die zwei importierten Cervelats lieber eigenmächtig an der Lieblingsfeuerstelle erhitzt, als die Halbpension gemeinsam mit all den anderen Endorphin getränkten Hobbyberglern auf der Hütte. Sowieso Massenlager no-go, Einzelzelle lebt. Der Dreiklang der Menuefolge im Berggasthaus tönte ehrlicherweise schon eine Liga höher als Holzfeuer und roch sicher anders auch. Doch Wurst ist Wurst und Most ist Most, manchmal ist die subjektive Wahrnehmung als Einzelgänger einfach passender.

Zaubertrank und Alpmax

Saisonsegen

Anderntags nach dem Frühstück kleine Testrunde, überraschend gute Beine (sicher wegen der Urner Bergkräuter, von denen selbst Süsszeugmacher Ricola profitiert) und das Restprogramm sollte locker zu schaffen sein. Also gleich den nächsten Zaubertrunk im Beizli geordert, bevor der Segen in der Betrufkapelle empfangen wurde. Hoch oben – im Bereich der schrecklichen Schneefelder, hinterlistigen Lawinen und gewaltigen Bergstürze wirkt der gesprochene Segen ganz besonders; fast schon hyperreal und doch authentische Wirklichkeit. Zudem nett und grosszügig, dass selbst kleine Berggänger aus dem Mittelland damit bedacht werden. Glaube versetzt Berge, besonders hier und sowieso. Der aus Goa stammende Pater Michael wieder mal in Topform und bat die Gemeinde nach einem Versprecher dem Bischof nichts davon zu verraten. Und zeremoniell sind die Katholiken schon immer auf der Überholspur, da gibts nichts.

Voll gedopt vom zweiten Glas Ürner Krütertee und zeitig vor den Gewittern am Nachmittag ging es los auf die Sinsgäuer Schonegg. Im ersten leichten Anstieg noch dem neuen Senn & Betrufer viel Glück gewünscht und bald schon verstummte wieder das Gebimmel der Kuhglocken und es setzte wieder diese typische und majestätische Stille der Berge ein, in der ausser vereinzelten Vogelstimmen fast nichts zu hören ist ausser dem Summen des Windes.

Steinzeitliches Zeichen; vielleicht auch Farbrest von der Wegmarkierung

Hoch oben die Ausflügler auf dem Brisen und innerliches Kopfschütteln ob der harten Tour genau vor Jahresfrist bei bestimmt 10 Grad höheren Temperaturen. Auf der Schonegg dann nur kurzer Rück- und Ausblick, die zunehmenden Schlieren in der Atmosphäre unverkennbar und die Marschtabelle auf das Postauto leicht im Defizit. Fast im Galopp dann talwärts, vorbei am stengellosen Enzian, vorbei an der Kastenbahn, da bereits 10 Minuten gut gemacht und Beine inklusive Knie weiterhin gut. Gedanken kreisten um ein Trinksystem, spart Zeit und Kraft sieht aber affig aus. Im Tal dann aus 20 Minuten Rückstand noch 10 Minuten Vorsprung gemacht; sag nur Kräutertee (und Erdanziehung natürlich).

Jauchzer

Die euphorisierte Rückfahrt gipfelte in einem Naturjodel in der Bahnhofshalle, als ein vom Jodelfest heimkehrender Dosenbiertrinker in Tracht mir freundlich zujodelte. Wirklich nette Geste das, vielleicht wirkte ich auch wie ein wettergegerbter Naturbursche. Quasi doppelt gesegnet schaute ich bequem auf dem Sofa die abendlichen Unwetter in den Bergen dann im Regenradar an und äugte derweil schon mal voraus auf den eventuellen Saisonhöhepunkt mit dem Pass. Aber nicht als Ausweis.

Muotatal jetzt auch in Uri

 

 

Frevel, Es, Bann und goldener Ring

Alpsegen und Betruf

Zwar ist auch in Uri seit einigen Jahren der Einfluss der katholischen Kirche stark zurück gegangen, doch einzelne christliche Riten und Gebräuche werden weiterhin gepflegt. So werden heute noch auf den meisten Urner Alpen kurz nach Alpaufzug die Älpler mit ihren Familien, die Weiden, das Vieh und die Gebäude von einem Priester gesegnet und unter den Machtschutz Gottes gestellt. Weiterhin zur liebevoll gepflegten Tradition gehört der Betruf. Jeden Abend ruft ein Älpler – neuerdings gelegentlich auch eine Älplerin – den einstimmigen Sprechgesang in einem mundartlich gefärbten Hochdeutsch durch die Volle, einen hölzernen Milchtrichter. Text und Melodie sind von Alp zu Alp verschieden. Der Älpler bittet jeweils Gott, Jesus, den Heiligen Geist, die Gottesmutter Maria und ausgewählte Heilige wie die Bauernheiligen Antonius, Wendelin und Bruder Klaus um den Schutz für alle Lebewesen auf der Alp. Der Betruf muss von einer Anhöhe aus möglichst laut gesungen werden. So weit die Stimme des Älplers reicht, soll auch der Schutzbann gelten.

Der goldene Ring über Uri

1941 erschien in Uri ein 330-seitiges Buch, das zwar zu den berühmtesten Schriften über Uri gehört, das aber wohl von den wenigsten von Anfang bis Ende gelesen wird. Es handelt vom Magischen und Animistischen im Erleben und Denken der Urner Bevölkerung. Das Buch trägt den Titel «Goldener Ring über Uri», verfasst vom Arzt und Volkskundler Eduard Renner (1891–1952). In einer poetisch verdichteten Sprache beschreibt Renner ein Weltbild, das weit in die Vorzeit zurückreicht und sich über Jahrhunderte zum Teil bis in die heutigen Tage gehalten hat. Der Kernpunkt dieses – nach Renner magischen – Weltbilds ist die Überzeugung, dass nichts festgefügt ist. Alles kann sich unerwartet verändern, auseinander fallen und sich in neuer Gestalt wieder zeigen. Steinschlag, Bergsturz oder Lawinen können über Nacht saftige Alpweiden in Steinwüsten verwandeln. Ein sicher geglaubter Strahlenfund kann sich anderntags in Nichts aufgelöst haben. Und der erlegte Gämsbock entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Frauenrock. Doch es sind nicht unfassbare Dämonen, die Ding und Welt immer wieder tückisch verändern. Dies zu glauben, verbietet dem strenggläubigen Urner die katholische Kirche. Es ist ein namen- und formloses «Es», worin sich all dieses Unsichere und Unfassbare verdichtet. Frevelt der Mensch, indem er Brauch und Ordnung verletzt, gewinnt dieses «Es» Macht über ihn. Nur indem er die Dinge so nimmt, wie sie sind, sie sorgfältig bewahrt, nicht verändert und sich streng an Herkommen und Brauchtum hält, kann er der Haltlosigkeit seiner Umwelt Einhalt gebieten. Um dies zu erreichen, muss er selbst Haltung bewahren, sich nichts anmerken lassen – im viel gerühmten urnerischen «Nyt derglychä tüä» verharren. Zu Hilfe kommt ihm dabei der Bann, der im Gegensatz zur Zauberei ausdrücklich erlaubt, ja geradezu geboten ist. Nur indem der Mensch um sich einen Bannkreis, einen Ring, zieht, kann er diese unstete Welt festigen. Aus diesem Grund versammelten sich die Bürger auch in einem Ring zur Landsgemeinde. Seinen wohl grossartigsten Ausdruck findet dieser Ringgedanke im Betruf, mit dem der Älpler eine Art Schutzwall um Herde, Hütte und Weide aufrichtet und alles Unheil bannt, so weit seine Stimme reicht.

© http://www.brauchtum-uri.ch/

Bräsige Böen beim Brisen

Countdown

Aufstehen um 4.45, Abmarsch Züri 5.30, kurz vor 8 Uhr am Startplatz eine Bahn-Station vor Engelberg/NW. Die sommerliche Herausforderung bestand im Übergang von Nidwalden nach Uri. Als erschwerendes Hindernis lag der 2400 Meter hohe Brisen zwar nicht gerade am Weg, schien aber vom Sofa aus durchaus machbar. Also zunächst sechszehnhundert hoch gefolgt vom Abstieg über ein auf 2100 gelegenes Joch, dann weiter runter auf 1600 Meter ins Hochtal. Falls Wetter oder Tagesform nicht hold sein sollten, führte die Alternativroute über ein kleineres Joch ohne Zusatzberg.

Lift off

Der Treck war taktisch und strategisch gut geplant, Swisstopo auf alle Eventualitäten programmiert und das Wetter im Startfenster mehr als günstig. Überdies stand zur Vorfreude eine Übernachtung auf Gitschenen an, damit der Alpsegen anderntags völlig zu Recht entgegengenommen werden konnte. Langsam und gemächlich der Beginn, auf dem Programm null Bergbahn heute, tutti per pedes und das geschmeidige Reinkommen im Anstieg immer vorentscheidend. Überschreiten der Weideflächen mit stets respektvollen Abstand zum massigen Rindvieh. Obschon keine Mutterkühe gesichtet wurden, war die Lage nicht immer übersichtlich. Unausweichliche Kollision in der Hochzeit von Weiden und Wandern. Daher Vermeidung allzu intensiven Augenkontakts und dafür Aktivierung sämtlicher Chakren im Hinterkopf und Rücken. Auf Nachfrage an ein lokales Wandergespann sollte der Abstieg auf der Urner Seite schneefrei sein; das wäre schön – besser keine Schneefelder im Juni! Die Auskunft gebenden haben übrigens mehr Respekt vor den Hirtenhunden der Schafherden, weil die wegen zunehmendem Wolf aggressiver abgerichtet werden. Natur pur.

Nach einer ausgiebigen Rast mit hybschen Blick auf den schneebedeckten Titlis folgte dann der Schlussgang auf dem quälend langen und steilen Zickzackweg hinauf zum Wanderhighway Haldigrat. Von links kommen recht entspannt all die vielen Gondelfahrer, die sich von Niederrickenbach hochkutschieren liessen. Von rechts die früher aufgestandenen Bergfahrer schon wieder retour. Die frischen Böen aus der Richtung Sinsgäuer Joch häuften sich, jawohl – Vorhersage von Meteo Blue lag eindeutig richtig mit der Zunahme von Wind zum Mittag hin.

Orbit Injection

Bei bereits gut 25 Grad am späten Vormittag war der Gang zum Gipfel ein schweisstreibendes Unterfangen, die Sauerstoffversorgung eingeschränkt und die Geschwindigkeit erinnerte an die letzten Meter beim Pilatus. Durch jene Erfahrung reicher war die Gewissheit der Überlegenheit von Stetigkeit über Geschwindigkeit eingepreist und wurde genau so auch umgesetzt. Fremdsprachige Wandertouristen in Turnschuhen verwunderten kaum; am Montag kann man in der Zeitung lesen, wie viel unvorsichtige Spinner im alpinen Gelände wieder ihr Leben leichtfertig riskierten und sinnlos verloren.

Energiezufuhr dank der Lektion Drachenberg geregelter als auch schon. Nach dem gnadenlosen Zickzack etwas Ernüchterung; einerseits wegen der schmierigen Fernsicht, andererseits wegen der Massen an Mensch, die sich auf dem schmalen Pfad und dennoch Rennstrecke alldieweil in die Quere kamen. Sowieso: das Ziel steht im Weg. Die Familie mit drei kleinen Kindern liess ich generös überholen, wobei die mangelnde Höhenform als schwer schnaufender Hobbybergler ehrlich eingestanden wurde. Ein junges Pärchen gab sich geschlagen, keine 200 Meter vor dem Ziel – ja, es war verdammt heiss, bereits nahe 30 Grad mittags auf über 2200 Meter! Sicher ein Vernunftentscheid, da ich der weiblichen Hälfte Unsicherheit und fehlende Trittsicherheit schon eine geraume Weile ansah und sie auch die einzigen waren, welche ich beim Kampf hinauf überholte. Schritt für Schritt weiter hoch Richtung Brisen, kurze Atempause, Geschichte wird gemacht, jetzt bloss nicht überpacen und die letzten steilen Meter dann wie zur Belohnung über verblüffend blütenreichen Fels.

Swing-by

Oben recht stürmisch und böig und das kleine Gipfelplateau gefüllt bis zu viel des Guten. Überraschend viele Insekten dort, manche labten sich am Schnee. Bringen Leute wirklich Schnee ans Gipfelkreuz? Warum so viele Insekten gerade dort? Warten die auf Futter? Bienen, Hummeln, Bremsen, Fliegen, Kleine, Grosse – alles da.

Nur ein kurzes Verschnaufen, denn das Ziel im gelobten Land lag nun immerhin in Sichtweite. Freude pur, weil so wurde der Trip zuvor ausgedacht und schön ausgemalt – GENAU SO! Also fast so, weil Malen mit Schweissperlen schon anderes als Sofa. Etwas getrübt wurde der Blick angesichts der nicht prognostizierten aber augenscheinlichen Schneefelder…

Rücksturz

Beim Abstieg eine Wanderin mit motivierendem «Ich habe Bergfieber»-T-Shirt. Yo, «Fever if you live you learn». Sie war sich des Blickfangs gewahr, wie sie auf Nachfrage direkt zugab und trug diesen nur deshalb. Links am Bruder Hoch Brisen vorbei und zu Beginn des Abstiegs galt es gleich ein Schneefeld im 45 Grad geneigten Hang zu queren. Na prima, tastend weiter direkt in den Fussstapfen der Vorgänger mit beidseitigem Stockeinsatz, Berg kurz, Tal lang. Hier abzurutschen wäre schon blöd irgendwie. Und passieren nicht die meisten Bergunfälle erst nach dem Gipfel? Zudem war die Markierung auf der Nidwalder Seite um eins zwei Klassen farbenfroher als bei den Urnern. Und tatsächlich etwas verfranst im Gelände, Kopf zu tief, doch bei guter Sicht sind solch kleine Umwege kein allzu grosses Problem. Beim Steinalper Jochli ein weiterer Wegweiser, welcher wiederum direkt in ein unberührtes Schneefeld wies. Somit war der Pfad schlicht nicht erkennbar; offensichtlich der Erste hier, der sich traute oder dessen Zielgebiet ein anderes war. Eigenmotivation und gutes Zureden im Selbstgespräch halfen die Konzentration stabil zu halten und nach einem Gang wie auf rohen Eiern (hält die Decke? Wie fallen lassen falls alles ins Rutschen kommt?) dann wieder im gerölligen Fels den Weg mehr erahnt als erkannt.

Noch etliche kleinere Schneefelder folgten auf dem serpentinenartigen Weg nach unten, machte nicht wirklich Spass und auch der Schutt war mehr als rutschig. Dazu die frischen Felsabrüche überall, die wie Geschosse auf dem Altschnee lagen, wobei man die Abdrücke und Spuren vom Ausrollen noch gut sah. Da geht was, hoffentlich nicht gerade heute und mit mir. Ein respektvoller Blick auf die überhängenden Bergwände und die Vorstellung von Steinschlag gebar ein mulmiges Gefühl rund um den Bauchnabel. Bewusstes Atmen und die fast absolute Stille taten ihre hypnotische Wirkung, noch musste das Endorphin warten. Die funkenden Neurotransmitter suggerierten im völligem Alleinsein eine unwirkliche Metasphäre inmitten der schroffen und doch so majestätischen Bergwelt. Existenzielle Fragen kamen und gingen, Tritt für Tritt.

Happy Landing

Kurz vor dem Geissboden war die Erleichterung, es bald geschafft zu haben schon ziemlich gross, das permanente Rutschen und Stolpern beim Abstieg hatte langsam ein Ende, nun da die grasbewachsenen Weiden näher kamen. Potzblitz – ein Murmeli wartete auf meine Ankunft vor seinem Bau, weil Wind von vorne günstig für Sichtung vom pfiffigen Tier. Leider kein Teleobjektiv eingepackt.

Zugegeben, etwas unscharf. Aber schemenhaft dann doch Joken!

Zum Schluss war es ein nur noch ein zähes Ringen, die Dusche mega erlösend und das mehr als Volltanken vor der Dopingkontrolle dringend nötig. Die Glückshormone aber waberten. Der Gitschenen Burger nach Älplerin Art wurde vom Sauren Most begleitet und wir alle zusammen unternahmen noch ein kleines Auslaufen zur Alp im Sulztal, wo der Betrufer Beat Burch seit 30 Jahren allabendlich sein Ave in die Bergwelt ruft. Intensiv und eindrücklich der urchige Sprechakt mitten unter Rindern und Kühen. Ein aufrichtiges Mercivielmal inklusive Händeschütteln – das war ein kaum zu krönender Ausklang des Tages. Der tiefe Schlaf sollte gewiss sein, zumal das Seeing etwas bescheiden war, Sterne fast nix wegen aufziehender Schleierwolken. Auch hier lagen die Wetterpropheten von Meteo Blue wieder goldrichtig. Schad drum.

The day after

Am Sonntag dann Alpsegnung. Wasser und Salz wurden gesegnet und alle Anwesenden von Pater Michael tüchtig mit Weihwasser besprenkelt. Er benutzte etwas mehr, da es so heiss war. Die Leute haben sich gefreut und die Jodeldamen gerne noch eine Zugabe gegeben. Nett auch, dass nicht nur die Menschen, die in den Bergen leben und arbeiten, sondern alle Berggänger ins Gebet und den Segen eingeschlossen wurden – das nahm ich gerne persönlich!

Am Grillplatz Teilete mit zwei Geschwistern aus Altdorf. Für die war ich genau jener Exot, für den ich mich auch hielt. Das Glück flutete immer noch sämtliche Körperzellen und daher wurde beschlossen, den Abstieg nach St. Jakob über die Alp Bolgen zu machen, die allemal interessantere und abwechslungsreichere Version als der Fahrweg. Frisch gesegnet wartete an der Talstation noch ein Kalenderspruch für alle Wandersleut:

Erhitzt, geschafft und immer noch mächtig high bringt mich das Poschti wieder runter. Im Zug zurück robbt sich dann doch langsam die Müdigkeit heran, aber immerhin waren die Retourfahrer vom Innerschweizer Jodel- und Älplerfest ein lustiger Augenschmaus in ihrer Deko. Zuhause dann den Rest vom Proviant im Rückblick genossen, wo in beiden Fällen gilt: Mehr ist Mehr.

Winter, ade!

Winter, ade!
Scheiden thut weh.
Aber dein Scheiden macht,
Daß jetzt mein Herze lacht.
Winter, ade!
Scheiden thut weh.

Winter, ade!
Scheiden thut weh.
Gerne vergess’ ich dein;
Kannst immer ferne sein.
Winter, ade!
Scheiden thut weh.

Winter, ade!
Scheiden thut weh.
Gehst du nicht bald nach Haus,
Lacht dich der Kuckuck aus.
Winter, ade!
Scheiden thut weh.

(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben)

Schneewelten

Im kleinen Paradies Gitschenen ob Isenthal ist die Winterlandschaft beeindruckend unberührt, die Aussicht vom Urirotstock über die Schwyzer und Glarner Alpen zum Schwalmis grandios. Die Schneeschuhe zeichnen Spuren und Linien ins Geläuf aus denen im perfekten Tiefschnee geometrische Formen erscheinen und vergehen.

Da ein örtliches Krafttier den Pfad im weissen Irgendwo leicht vorspurte, wurde der bereits bekannte Rastplatz auch ohne weitere Wegweisung traumwandlerisch sicher gefunden. Doch die erfahrungsgemäss vorbildlich gepflegte Grillieranlage war leider völlig eingeschneit, genug Holz vom herbstlichen Hacken hätte es schon noch gehabt und auch die fastenbrechende Bratwurst mit Bergkräutern war vorsorglich im Rucksack verstaut. Das honorige Versprechen des mörderischen Brennholzmachers war also erfüllt, bloss der naive Unterländer verkannte wiederum die alpinen Risiken und Verwehungen.

Noch risikobereiter war ein Tourengänger aus der Golden Age Fraktion, welcher auf 2000 Richtung Brisen aufstieg, trotz beidseitig deutlich erkennbarer und relativ frisch abgegangener Schneebretter. Sein schwungvoller Freeride talwärts war beim Zuschauen allerdings schon beeindruckend. LVS, Sonde und Schaufel kommen demnächst mit ins Marschgepäck, mit diesen Zutaten könnte dann auch ein Grill problemlos lokalisiert und ausgegraben werden.

Das Jahresprogramm der Betrufkapelle hält gleich mehrere Saisonhöhepunkte parat – neben der turnusmässigen Generalversammlung noch den Alp-Segen und Bannruef. Und sicher auch ein Gedenken an den Fistbruder, der einst ganz Alpöhi das «Tor» urig erklärte und 93-jährig im letzten Sommer lebenssatt seinen Abschied nahm – Adieu Kamerad!

Berninale

Prima Klima

Der Saisonhöhepunkt in der Bernina im Engadin wurde farbenprächtig von fast schon kitschigem Kaiserwetter untermalt, für den Schönwetterwanderer natürlich ideale Startbedingungen. Der tagelang nervöse Blick auf die allmählich schmelzenden Neuschneefelder via Webcam wich vermehrt zugunsten verheissungsvoller Erregung, das Basislager war gebucht und die Aussichten optimal – Form und Material zumindest auf Augenhöhe mit der angestrebten Hochgebirgstour.

Memento Mori

Die kurze aber höhenintensive Akklimatisation beinhaltetet einen Abstecher ins Puschlav, wo in Poschiavo das Opferlicht neumodisch doch albern elektronisch gezündet wird, derweil das nahe liegende Beinhaus eindrücklich mahnte.

Nach dem Einchecken im bezaubernd gelegenen Gletscherhotel und einer kurzen abendlichen Lockerungsrunde zur Zunge des betrüblich rasch dahin schwindenden Morteratschgletschers, stieg die Nervosität nach einem feinen Nachtessen doch spürbar an und führte zu einer annähernd durchwachten Nacht; aufkommendes Lampenfieber liess die Gehirnhälften teilweise nur abwechselnd ruhen, das vegetative Nervensystem riet dem Adlerauge sei wachsam.

Letzte Ölung

Die Knie anderntags frisch geölt, die notwendige Ausrüstung verpackt und der Dresscode abschliessend geklärt kamen noch am Frühstückstisch leichte Zweifel auf, ob die Verfassung für 3000 wirklich reicht, schliesslich heisst es ja sicherheitsrelevant zurecht: der Herausforderung nicht nur gewachsen, sondern überlegen sein. Mit der Rande in der Hand wurde dann bereits etwas zuversichtlicher auf den Zubringer der Rhätischen Bahn gewartet und dabei ein interessierter Blick auf den Rucksack des anderen Frühaufbrechers geworfen, dessen uriger Eispickel dabei besonders ins Auge fiel.

Bhend/Grindelwald hiess es auf dem ins Metall eingeschlagenen Stempel und der rüstige Gletschergänger versicherte, dass dies ein amtliches Teil sei, die modernen nur Spielzeug und nichts taugten. Nun gut, etwas Folklore ist sicher inkludiert, doch ein original Bhend mit Eschenholzschaft würde stilistisch ausgezeichnet zu den geschätzten Ortler passen, da sollte selbst ein Hillary Step kaum mehr ein Hindernis sein…

Auf gehts

Der Randensaft wurde prophylaktisch während des Transports zur Talstation brav getrunken, um auch die letzten Leistungsprozente proaktiv in Bereitschaft zu versetzen. Die Vorfreude stieg immens, das Wetter so was von einladend, Vorsehung und Macht offensichtlich allesamt mit im Bunde. Der untere Teil des Weges ist im Winter der Auslauf der schwarzen Skipiste, zudem erleichtert ein holpriger Fahrweg den Aufstieg bis zum Lej da Diavolezza auf ungefähr halber Höhe. Nach dem Überschreiten der Baumgrenze dann zunehmend steil gewunden, teilweise ausgesetzt und auf der Flanke des Sass Queder angekommen der erste Wow-Effekt mit der sehnsüchtigen erwarteten und wirklich prächtigen Aussicht auf den Berninapass mit dem grossen Lago Bianco, dem mittleren Lej Nair und dem kleinen Lej Pitschen. An den Namen der Bergseen erkennt man die Sprachgrenze, die zugleich die Wasserscheide zwischen Donau und Po bildet.

Karge Rauheit

Der Pfad wurde stetig alpiner, die karge Landschaft gleichwohl intensiver und die wohltuende Stille in den Pausen der monoton summenden Seilbahn beinahe inspirierend. Als Alleingänger frisch geübt wurde das Naturspektakel einfach nur genossen. Die angekündigten ausaperten Firnfelder waren dank Petrus just zurückgewichen, die wenigen Schritte auf Eis im Bergschatten gut machbar und die Grödel verblieben im Rucksack (aber gut waren sie als Versicherung mit dabei!). Das Timing der Aufstiegszeit also wirklich perfekt, besonders da die höher steigende Sonne kräftig mit tat. Zum Glück wurde das zuerst für den Hochsommer anvisierte Unterfangen in den Frühherbst verlegt, was so bestimmt manch (italienischen) Bergfreunden elegant aus dem Weg ging.

Klar – eine Seilbahn auf zirka 3000 Meter ist ungemein verlockend, der Hobbybergler weiss das nur zu gut, seit er sich selbst vor 25 Jahren inklusive leichter Kreislaufschwäche von quasi Null auf Dreidrei zum Corvatsch katapultierte. Sauerstoffmangel gepaart mit Dummheit oder Unterschätzung der Bergwelt bei Überschätzung der eigenen Konstitution führen unweigerlich zu grotesken bis komischen Szenen auf den Aussichtsplateaus, wie sich später als Reprise auf der Diavolezza erweisen sollte.

Obacht

Unterwegs dann ein kleiner Schreckmoment, als das Donnern eines Rettungshelikopters naht, der auf der Bergstation einen kurzen Zwischenhalt einlegte, um alsbald elegant im Sturzflug wieder ins Tal zu sausen. Oha, memento dingens. Das Bewusstsein um die reale Gefahr einer Solotour in solchen Höhen kam auf und gleichzeitig erfuhr die Konzentration auf Weg und Ziel einen ordentlichen Schub. Erst später an der Talstation sollte sich herausstellen, dass ein Übungstag angesetzt war und die Crew den Ernstfall nur probte.

Gipfelsturm

Das letzte Stück war dann doch noch nervig, da die Pistenraupen bereits den Schnee für die nahende Skisaison auffuhren, welcher von den zahlreich postierten Schneekanonen vorproduziert wird. Oben angekommen fiel dann die Entscheidung für das kleinsten der drei ursprünglichen Zielobjekte. Eine kurze Überlegung war, ob nicht der 100 Meter höhere Piz Trovat bei der grandiosen Tagesform noch obendrein machbar sein könnte. Der Aufstieg lag gänzlich in der Sonne, keinerlei Eis und Schnee im Weg. Dann die nüchterne Analyse, dass das Erreichte durchaus genügen sollte.

Der erste selbst begangene 3er sollte es sein und wurde es, gepaart mit Erleichterung und Verblüffung, das Saisonziel derart mühelos geschafft zu haben. Pilatus was the Preacherman. Nach dem Gipfelfoto und Abstieg folgte auf dem Weg zum Berggasthaus die herzliche Begrüssung durchs Support-Team, angeführt von Cheerleaderin Alexandra B. Aumann (Credit for pic & movie), was dem Möchtegerntrenker wiederum etwas peinlich war.

Hatte er ja bloss den allerkleinsten aller möglichen Gipfelgiganten bezwungen, schliesslich standen da unübersehbar noch ganz andere Kategorien in der näheren Umgebung rum…

Bewegende Eiswelt

Eine Brotzeit aus dem Rucksack folgte, das Ankommen wurde nach dem zögerlichen Verdampfen des Restadrenalins dann noch richtig genossen und der Festsaal der Alpen gründlich in Augenschein genommen. Imposant die Spuren im Neuschnee gleich unterhalb des Ostgipfels vom Piz Palü, furchteinflössend das Rieseln und Poltern der Steine, die von der Sonne enteist auf den Gletscher fielen und an die Weisse Hölle von 1929 erinnerten. Deutlich die Gletscherspalten am Zusammenfluss von Palü, Pers und Morteratsch. Schön und gefährlich zugleich der Biancograd mit Bellavista und dem Berninagipfel selbst, am gefälligsten aber Agüzza; wie ein gerade herauf gekrabbeltes Insekt thront der Fels inmitten des Gruppenbilds.

Gletscherbrille

Ausgelassen die Stimmung auf der Terrasse der Bergstation, wo ausgiebig gespeist und getrunken wird. Jemand schleppte einen Cooler nebst Flasche mit in den frischen Schnee, andere entspannten leger in der Höhensonne und anscheinend soll es auch ein Jacuzzi für Übernachtungsgäste geben. Ein paar augenscheinliche Cracks frisch retour von Hoch- und Gletschertour, denen man das Können und Kennen ansah.

Manche standen und staunten, viele telefonierten, machten Fotos und zählten ehrfürchtig die Namen der eisigen Riesen auf. Ein paar wenige wiederum waren kaum gehfähig. Halt der übliche und typische Rummel auf einem Berg mit direktem Bahnanschluss. Falls aber das Gletscherbüro beim nächsten Besuch geöffnet haben sollte, wäre eine geführte Tour mit einem Original Bhend schon eine Überlegung wert. Fehlt nur noch die passende Gletscherbrille aus Pontresina.

Ortler grüsst Ortler

Beim Einstieg in die Gondel talwärts schweifte der Blick ein letztes Mal sehnsüchtig in die weite Ferne, und – wie sich erst später mittels Triangulation bestätigen sollte – fiel der Blick des Hobbysportlers geradewegs auf die Ortlergruppe, welche weiss bedeckt mit ihrer 3900 Meter hohen Spitze aus dem braungrauen Allerlei kontrastreich im nicht allzu fernen Südosten heraus stach. Auf Original Ortler den echten Ortler zu erspähen, das war ein passendes Finale für jenen abenteuerlichen Tag!

Epilog

Ausser dem Pfiff eines Murmeltieres und den bettelnden Alpendohlen war nichts tierisch erwähnenswertes unterwegs, dies sollte sich erst am Folgetag beim Auslaufen ändern, als eine Kreuzotter sich wohlig im Gras sonnte. Den Abschluss bildete ein Besuch auf der Chünetta, wo ein von englischen Gästen im Gedenken errichtetes Steinsofa (!) bequem den Blick auf Gletscher und Bergwelt erleichtert. Allegra!

Von Pontius zum Pilatus

Der ehrgeizige Plan über 1700 Meter aufwärts als Solist aufzutreten entsprang einem vermeintlichen Besserwetterloch. Wetter immer matchentscheidend im alpinen Gelände und dazu kam die drängende Dringlichkeit eines wirklichen Belastungstests, bevor es auf ganz andere Gefilde gehen konnte.

Um die vertrödelte Zeit (verpasster Zug, falscher Bus) wieder aufzuholen, wurde die Sache etwas zu überhastet angegangen. Dabei hätte jene gut 30-köpfige Kindergartengruppe im Zug, deren Reservierung schief ging und die daher im Mittelgang des Waggons tapfer und stoisch, aber voller Vorfreude auf den Ausflug ins Planetarium die gesamte Fahrt über wankend aber stehend verbrachten, beispielgebend sein sollen.

Wer schnell sein will, muss langsam werden

Zu Beginn gelang es überraschend zügig eine halbe Stunde aufzuholen, doch sollte der Einbruch unweigerlich folgen. Die ersten 900 Höhenmeter waren eher leichtes Terrain und verteilten sich auf gut sieben Kilometern. Allerdings setzte die nach den Regengüssen der vergangenen Tage hoch gesättigte Luftfeuchtigkeit dem Hobbysteiger rasch zu und die Transpirationautomatik  der Funktionswäsche lief permanent auf Hochtouren. Fixiert auf das mögliche Tagesziel in akzeptabler Zeit sowie der kurzzeitige Zusammenschluss mit einer interrailenden Studentin aus dem Ruhrgebiet führten dazu, dass alle antrainierten Vorsichtsmassnahmen leichtfertig ausser Acht gelassen wurden. Spürbar dehydriert, leicht unterzuckert und offenkundig in keiner bestechenden Tagesform wurde viel zu spät auf eindeutige Körpersignale geachtet, zu spät wurde gerastet, getrunken und der Puls wieder auf Normal reguliert. Ein Bergab sausender E-Biker prophezeite einen Wolkenaufriss innert 30 Minuten – ganze drei Stunden sollte es noch dauern, bis die Sonne zumindest ein wenig vom Hochnebel weg schleckte.

Tempowechsel

Mit knapper werdender Kraft wurde das erste Etappenziel auf schlappen 1500 Metern erreicht und nach dem Adieu mit der Zufallsbekanntschaft nun ein adäquates Tempo nach ureigenem Rhythmus angeschlagen. Geht doch. Direktnach der Querung einer lehmig-seifigen Alp ging es dann in den ersten serpentinenartigen Anstieg im Felsmassiv. Trotz ausbleibender Sicht waren Wasserfall und rascher Höhengewinn verlockend, als jedoch die Nebelschwaden allmählich den Ausguck auf nur noch 20 Meter runter dimmten wurde klar, dass Rast und Ruhe dringend nötig waren, zumal eine Umkehr bei weiterer Verschlechterung noch immer möglich war. Im Berg dann eher nicht. Der Gedanke vom schnaubenden Drachen kam und ging schnell. Ein junger blonder Held in Turnschuhen zog vorbei, zwei vorlaute Deutsche immerhin in Wanderschuhen wenig später. Egal, die längst fällige Regeneration mit Weintrauben und Bouillon war unabdinglich und versprach die erforderliche Auffrischung der Kraftreserven, denn ab jetzt nur noch steil. Das Innehalten mit Zwiesprache war zugleich eine Konzentrationsübung für das nun kommende anspruchsvolle Terrain.

Kehren und Wenden ohne Ende

Der Aufstieg dann teilweise mit Ketten gesichert, die Furten und Wasserfälle sind problemlos, doch aufgrund der talwärts strömenden Wassermassen zumindest heikel. Hinzu kommt, dass der permanente Nebel alles übrige sowieso mit einem feuchten Film überzog. Teilweise haben die Wegbereiter eiserne Stufen ins Gestein geschraubt, teils mit Knüppeln abgesicherte Stufen geschlagen. Jedenfalls Hochachtung für die vielen Putzer, die jeweils am dritten Wochenende im Juni den Pfad begehen, kontrollieren, von Altschnee befreien und falls nötig ausbessern. Einige verewigen sich mit Namensschildern nebst Baujahr, wobei manche der Namen einen fast den gesamten Aufstieg hinweg begleiten. An ein paar Stellen ging es nur mit Klettern auf allen Vieren, Stockeinsatz bei den vielen grossen Tritten äusserst hilfreich. Einmal wurde der Schuh aufgrund einer etwas unrunden Bewegung zwischen zwei Felsblöcken eingeklemmt, zum Glück federte der volllederne Ortler derart Missgeschick gekonnt ab, kaum Wirkung im Fuss selbst. Überhaupt war neben der gebotenen Trittsicherheit (Schwindelfrei war heute abgesagt, zu trüb und milchig die Abgründe) der Bergschuh essentiell – ohne Profilsohle mit Grip geht hier gar nichts (ausser Jungsiegfried in Turnschuhen).

Der Aufstieg wollte kein Ende nehmen, noch ne Kehre, noch eine Sicherungskette an ausgesetzter Stelle. Plötzlich frische Erde auf dem Pfad, Blick nach oben und Oha!, überhängender Fels, unübersehbar erst jüngst gefallenes Gestein direkt auf dem Weg. Abwechselnd den Blick vor Furcht hoch und auf den Steig gerichtet, in der stillen Hoffnung, eventuellen Steinschlag durch Reaktionsschnelle wettzumachen wurde die Gefahrenstelle zügig durchgangen. Danach wartete wieder eine in den Fels gehauene und endlos erscheinende (schlechte Sicht!) treppenförmig gewundene Schlüsselstelle. Zwei weitere Wandersleute überholten und lieber wurde etwas abseits der direkten Falllinie einen Moment lang ausgeharrt, nicht dass es durch einen womöglich oben ausgelösten Brocken just nach der heil überstandenen Gefahrenstelle doch noch zum Bingo käme.

Die Tierwelt hielt sich analog zum Wetter weiterhin schön bedeckt, nur Losung vom Steinwild war wiederholt zu erkennen. Das wiederkehrende Pochen der Halsschlagader aufmerksam verfolgend, wurde der Puls auf Stöcke gestützt im Stehen reguliert. Stop-and-Go, gut war wenig Betrieb auf der Piste. Beim Überschreiten der Baumgrenze kam die Frage auf, wieso der Pfad eigentlich Heitertannliweg genannt wird.

Lichtblick

Der letzte Fruchtriegel tat seinen bitter nötigen Dienst und endlich etwas mehr Licht, noch trüb zwar, doch heller Schein lies vermuten, dass die Bergflanke nun tatsächlich durchstiegen war. Nineteenhundred down, twohundredfifty to go. Ohne bislang je das Ziel auf dem beschwerlichen Weg erkennen zu können, gab die schiere Ahnung weiteren Auftrieb. Die Zuversicht kehrte zurück, der Fruchtzucker zündete und der vorletzte Schluck aus der Pulle war reiner Treibstoff.

Und dann riss es auf: zweihundert Meter unterhalb der zahlreichen Gipfel vom Pilatusmassiv traten Tomlishorn, Esel, Oberhaupt und wie sie alle heissen sonnenbeschienen und geradezu unwirklich wuchtig derart scharf gezeichnet ins Rampenlicht, als würde ein Vorhang mit einem Vergrösserungsglas getauscht – ein doppeltes Wunder der Natur. Ein zwar nur kurz währendes Spektakel, aber in seiner momentanen Eindrücklichkeit fast unbeschreiblich. Respekt und Vorfreude, der letzte Anstieg im zerkarsteten Schrattenkalk steinhart jedoch trocken und bedächtigen Schrittes zog der Gebirgsmagnet den sich wie in Trance befindlichen Hobbybergler durch die letzten Kehren nach oben. Jungsiegfried kam derweil von dort im zügigen Turnschuhschritt mit einem aufmunternden «Sali!» entgegen. Vermutlich hatte er den Drachen besiegt, da der Nebel zunehmend lichter wurde.

Tohuwabohu

Dann der Aufstieg durchs Chriesiloch, ursprünglich ein natürlicher Kamin. Oben hallten amerikanische Stimmen, «Where does this way lead to, lets find out!», ein finaler Zwischenspurt, um einer drohenden Kollision auf der Eisentreppe zu entgehen, eine ungläubige Frage: «Did you come up all the way?» gefolgt vom freundlichen «Welcome!» und der nun in Sicht kommende babylonische Touristenpfuhl auf Pilatus Kulm erschien als reinster Postkartenkitsch mitsamt tutender Alphörner als Icing.

 

Der Dank an die eifrigen Bläser für die tolle Begrüssung wurde artig überbracht, gefolgt von einem breiten Grinsen aufgrund des kuriosen Emblems – da blies leibhaftig ein stämmiger Baggerfahrer ins Horn!

Gewiss, nach Burkaverbot, Covid, Masken- bzw. Zertifikatspflicht war die Lage oben bestimmt noch harmlos, eingedenk der Anekdote, als der Hobbyhiker noch vor wenigen Jahren verblüfft staunte, dass Downtown Luzern die Beschriftungen der Ladengeschäfte neben Englisch teils auch auf Chinesisch und Arabisch angebracht waren.

Unweigerlich schüttelte der ehrliche Aufsteiger dennoch innerlich den Kopf, angesichts der nervös staksenden Menge dort oben, manche ihren Schosshund auf Armen tragend, andere verzweifelt ihre Kinder zähmend und allesamt innerhalb einer halben Stunde mit Zahnrad- oder Drahtseilbahn nach oben verbracht, um im Bratwurstduft die heute nicht existierende Aussicht leicht desorientiert trotzdem zu suchen.

2118

Oberhaupt und Esel wurden beide direkt vor Ort bezwungen, danach rasch das Ticket für die Talfahrt gelöst und dank eines widerspenstigen Kinderwageninsassen fuhr die Gondel den Einzelgänger im Solo durch die Wolken ins wärmende und lichtdurchflutete Tal mit der frisch gewonnen Einsicht, dass in und über den Wolken Freiheit wohl Grenzen hat.

Kriechspur

Auf den gut 2000 Höhenmetern des Oberengadiner Seitentals Val Bernina wird für den Unterländer Hobbyausflügler die Luft bereits etwas dünn. Bunte Farben flirren wie wild über den Schneeteppich und es scheint, als wäre die gleissende Sonne eine transzendente Discokugel. Die monotone Konzentration auf Schritt und Tritt wirkt fast meditativ. Geh-Rhythmus und Atem-Tempo üben ein inniges Duett, welches bei den kurzen Anstiegen aus einem gemächlichen Largo in ein wildes Allegro auszubrechen droht, bevor ein obskures Metronom am Wegrand an das Adagio erinnert und letztlich sich alles in einem endorphingesättigten Lento karthatisch prima auflöst.

Grạzcha fich!

Langsamverkehr-Netz Bündnerland

Nebelflor im Wolkenmeer

Auf Gitschenen, einem Hochtal oberhalb von St. Jakob im Isenthal (UR) zieht vor dem winterlichen Föhnsturm der Hochnebel in Schwaden an den Bergflanken entlang. Kleine Lichtblicke erlaubt die knapp über den Gipfelkuppen stehende Sonne, die den Nebel an- und vertreibt. Trotz aller Wandererfahrung immer wieder neue Erkenntnisse für den Hobbyschweizer – alpine Wintertouren benötigen bei Neu- und Tiefschnee besondere Unterlagen – Schneeschuhe gehören unbedingt zur Grundausrüstung. Dank gespurter Pisten waren immerhin ein paar Kilometer Schneewanderung machbar und der Gipfelrum bei aller Kälte und frischen Luft hoch verdient.

Se di nubi un velo m’asconde il tuo cielo
pel tuo raggio anelo Dio d’amore!
Fuga o sole quei vapori
e mi rendi i tuoi favori:
di mia patria deh! Pietà,
brilla, sol di verità.                                                                   °

Talwärts beim Zwischenhalt in Bauen am Urner See eine freudige Überraschung – der Hobbyschweizer trifft auf den Komponisten vom meteorologischen Schweizer Psalm und schwört sich schon mal warm.

© pics by abauma

Problembär Ahoi

Hier nun der abschliessende Teil der Bruno-Trilogie, diesmal direkt aus den Bergen knapp oberhalb der Baumgrenze, dort wo sich Murmeltier und Gämse Grüezi sagen und der kreisende Steinadler den Überblick behält. Natürlich fiel dem Hobbyschweizer sofort ein aufgelegter Prospekt im Naturparadies ins Auge, in welchem für die in Bälde anstehenden Innerschweizer Handmähmeisterschaften hingewiesen wird.

Handsensen

Selbst eingefleischter Handmäher nebst Spindel und Kleinsense scheint der Wettbewerbscharakter im bäuerlichen Universum auf einem völlig anderen sportiven Niveau zu liegen, als das kleinliche Nachbarn nerven mittels Motor in der Zwergensiedlung am Wochenende. Wobei, der jüngst verzogene Sepp drei Nachbarn weiter mähte tatsächlich mit der Sense und beim Leichenzug mit Sargwagen durchs Quartier gab der Zuggefährte wirklich Sensenkurse — ohne Quatsch jetzt. Die Wahrheit scheint wie immer auf dem Platz zu liegen, selbst mitten in der Stadt.

Aussicht Ybrig

Bestens angeschwitzt endlich am Grat angelangt (Steinadler, Murmeli und Gämse2 verbucht, gell Jochen!?), bot sich dem hochalpinen Wanderbären eine himmlische Aussicht über Berg und Tal, wofür man glatt eine Kerze anzünden könnte. Gab aber keine in der örtlichen Kapelle, was vielleicht am Feuerverbot liegen mochte. Immerhin hing der Alpsegen gerade.

Alpsegen

Eilends aber immer die Entgegenkommenden brav grüssend (Grüezini sind überall!) weiter zum Mittag und saurem Most, dann über einen Sattel mit Blick auf den wunderschön rosamarmorierten Mythen, Lac des Quatre-Cantons, Gletscher und Berge, Berge, Berge auf zum Sternen, geschwind vorbei am Wildä Maa und wilden Jungbullen hin zu der steril wirkenden künstlichen Zwergensiedlung; Kitsch as Kitsch can, hart an der Sauerstoffgrenze.

Dort wurde dann dem abtrünnigen Ex-Bierbären Bruno mittels Seilrutsche eine rasante Abreibung zu verpasst: für 50 Stutz 110 Sachen, das passt schon prächtig ins voll durchorchestrierte sommerliche Gäste-Konzept.

Wie dort wohl im Winter der Bär steppen wird, wenn die Pistenraupen losgelassen werden und Murmeli und Adler abtauchen müssen, weia…

Porös

Im Glarner Land, oberhalb von Elm am Sernf, gibt es inmitten einer markanten Gebirgskette ein Felsenloch. Zweimal im Jahr schickt die Sonne ihren Morgenstrahl durch das Felsenfenster hinunter ins Tal, wo er auf den dort extra errichteten Kirchturm trifft. Dieser wird jeweils Mitte März sowie Ende September vom Zentralgestirn etwa zwei Minuten lang beschienen. Falls man sich durch das Loch traut, landet man im Nachbarkanton Graubünden; der Ausflugsort Flims ist dann in (Berg-) Wanderdistanz zu erreichen. Allerdings liegt die zu überquerende Passhöhe auf 2600m, und schien für einmal dem Flachlandtiroler nebst Chindsgichind trotz Kaiserwetter noch zu gewagt.

Martinsloch. Tschinger Hörner, Tschingler Alp

Auf dem Weg durch das Sernftal fallen die vielen Verkehrsschilder auf, auf denen Panzer-Limite vermerkt sind. Und tatsächlich ist in Elm eine Übungsanlagen für scharf schiessende Tanks zu finden. Am Vreni-Schneider-Weg vorbei geht es dann zur Talstation der Luftseilbahn Richtung Tschinglen-Alp, wo die Susi wirtet. Obwohl die Saison für Schweizer Berghütten wetterbedingt eher mager war, wird Susi 2015 wieder am Start sein. Ich auch. Und das Loch sowieso.