Musik ist Trumpf

Durch einen im heimischen Briefkasten überraschend vorgefundenen Hinweis einer Frau Dr. Sowieso aus Ludwigshafen wurde auf eine CD-Taufe hingewiesen. Die Frau Doktor blieb weiterhin unbekannt, doch der Inhalt des Couverts war vielversprechend. Die kultische Handlung war in Wiesbaden angesetzt und sollte deutsche Schlager aus den 20ern, 30ern, 40ern und 50ern des letzten Jahrhunderts im frischen Gewand präsentieren. Pflichttermin nur Hilfsausdruck, zumal es sich bei den Täuflingen um die langjährigen Favoriten Augst & Daemgen handelte, deren interessantes musikalisches Schaffen seit geraumer Zeit mit wachsender Begeisterung goutiert wird. Nach etwas Hirnen konnte mittels einer Prise vom glücklichen Umstand das Wochenende geplant werden und das Bahnabenteuer ab Zürich wurde wohlgemut und mit leicht kribbelnder Vorfreude angegangen.

So, wie das Meer, ist das Leben. Ewige Ebbe und Flut.

Nach einem kurzen Unterländer Zwischenstopp ging es weiter an Neckar und Rhein entlang in die hessische Haupt- und Kurstadt; heute gilt diese als eine der wohlhabendsten Gemeinden der Bundesrepublik. Zürich-Wiesbaden also reine Wohlfahrt, hehe. Von der Stadt selbst konnte aufgrund der anbrechenden Dunkelheit nicht all zu viel aufgesogen werden, die Zeit und das Ziel liessen keinen Bummel zu. Ausser einem zwitschernden Baum und den in D üblichen Randständigen in der Bahnhofsgegend blieb nichts hängen.

Dank gründlicher Recherche im Netz konnte das unbekannte Terrain einigermassen zielsicher angesteuert werden, nur dann, knapp vorm Aufschlag ging es fehl. Eine Dreier-Gruppe inklusive Rollstuhl, ein schwergewichtig schnaufender Ami und der von bereits zehnstündiger Reise etwas strapazierte Hobbyschweizer landeten am dunklen Stadtrand in einer Sackgasse. Alle Online-Pläne meinten übereinstimmend dass die Örtlichkeit zwar direkt vor uns läge, aber es gab einfach kein Durchkommen. Trübe herbstliche Nässe schlug bereits aufs Gemüt, als es nach einem geordneten Rückzug dann doch noch gelang korrekt einzufädeln und das Lokal des Glücks lag erleuchtet vor uns. Rollstuhlrampe gab es zudem.

Das Leben ist kein Tanzlokal

Von der Homepage bekannt war die Übersichtlichkeit des Jazzclubs art.ist, doch verblüffender weise war der Besucherandrang überhaupt nicht drängend. Nasowas, heute sind doch die Cracks da, die die sich seit geraumer Zeit am Liedgut der Deutschen abarbeiten und etliche Inspirationen mit ihren Interpretationen schufen, so dass manche der teils völlig überspielten ollen Stücke wieder richtig gut tönen.

Drinnen an der Kasse fast unverschämt günstige 14 Euro, vier für ein Glas Wein und – surprise, surprise – die ersten 10 Gäste des Abends erhalten die zu taufende CD gratis! Potzblitz, ja was ist das denn für ein herzliches Willkommen nach der Odyssee des Tages! Vorfreude plus mehr Freude quasi Freude im Quadrat.

Mit dem Glas Wein ging es in den kleinen Saal, um das Programmblatt genauer zu studieren. Aha, könnte den Abend weitestgehend mitsingend verbringen. Die Platznachbarin stimmte zu und war erstaunt, ob der weiten Anreise und offensichtlichen Fantums meinereiner. Die Plätze füllten sich langsam, doch mehr als 30 Personen zählte ich fast ungläubig nicht. Später meinte Marcel Daemgen, dass es besonderen Spass machte vor «handverlesen Publikum» zu musizieren.

Der mitproduzierende Redakteur vom DLF trat auf und gab die erklärende Einleitung. Es sei in den letzten 25 Jahren die siebte gemeinsame Einspielung und diese sei die brisanteste. Schlager meist schlüpfriges Terrain, aber Augst und Daemgen trügen dank Dekonstruktion und Intervention, durch eigene Betonung und freche Disruption ihren Teil dazu bei, die bekannten Gassenhauer im Hören neu zu erleben. Bloss seien deren Interpretationen eben nicht zum Mitsingen gedacht – autsch. Auferstanden aus Ruinen und Heile, Heile Gänsje also ohne mich. Schade eigentlich, doch aller Respekt gebührt den Künstlern des Abends, d’accord. Und die waren nicht nur zu zweit gekommen, also Stimme und Elektronik, sondern brachten mit Sophie Agnel am Flügel sowie Jörg Fischer am Schlagwerk geübte Könner mit. (Tipp: die Madame an den Tasten und Saiten tourt im November – ein immersives Klangereignis ist garantiert.)

Nach der erhellenden und zugewandten Einführung erschienen die Helden des Abends tatsächlich auf der kleinen Bühne. Locker bekannt waren sie bereits durch das eine oder andere Video. Oliver Augst mit längeren, leicht wirr getragenen Haaren, Marcel Daemgen wie üblich in seinem champagnerfarbenen Anzug. Frau Agnel, ach ja, die sprach vorhin frankophon an der Bar und der ebenfalls vorher schon gesichtete bärige Percussionist nahmen ihre Plätze ein.

Die Nacht, die man in einem Rausch verbracht, bedeutet Seligkeit und Glück

Mit «So oder so ist das Leben« wurde der Abend eröffnet, mit «Wenn ich mir was wünschen dürfte« gings weiter und im Anschluss dran rasant, rasant «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehn», heiligs Blechle, die gehen ja ran, Zwischenapplaus war zuvor verbeten worden. Knarzige Korg-Töne, krachendes Drum & Bass ausm Macbook, dazu das manipulierte Spiel am Flügel, Haarbürste, Murmeln etc., alles im Einsatz, Frau Agnel sass kaum, schon stand sie wieder mit der Hand an den Saiten, um donnernde Töne zu dämpfen. Der Percussionist schlug auf allerhand Metall, welches auf den Trommeln platziert wurde, blies ein direkt auf den Fellen aufsitzendes Trompetenmundstück, oha, freejazzig, es war laut, es war dreckig, es war akkurat und stimmig, trotz aller kakophonischer Einsprengsel. Oliver Augst wie immer leicht exaltiert, dabei knapp vor jedweder Peinlichkeit hielt tapfer durch und sorgte mit seiner Stimme für Eindringlichkeit. Es freute mich den heftigen Elektroniker beim sich freuen zusehen zu können, denn seinen innewohnenden Schalk hatte ich auf den diversen Tonträgern schon immer deutlich raus gehört. Dann brach doch der Applaus den Bann, als die Kapelle hineinsteigernd sich fast verlor und bei «Davon geht die Welt nicht unter» für wirklich ganz neue und pochend hämmernde Tonkaskaden sorgte und der kleine Club beinahe abhob. Surreal die Stimmung, die Schlager wurden exekutiert und standen doch immer wieder auf, «Heile, Heile Gänsje» und «Er heisst Waldemar» sorgten weiter für prächtige Stimmung, während ich derweil stumm mitsang und in einer Liedpause geschwind einen Schluck vom einst im Köpenicker Weinladen Kennen und Schätzen gelernten Corbière nehmen musste, um wieder einigermassen geerdet zu werden

Meine Güte, was für ein Tempo, was für ein Parforceritt durch die nicht immer allerhellsten Zeiten meines Geburtslandes. Der DLF-Redaktor Frank Kämpfer hatte dabei zu Beginn ganz deutlich betont:

Aus der Krisenwahrnehmung unserer Gegenwart strecken sich uns beredte Jahreszahlen deutscher Geschichte entgegen: 1923, 1933, 1943, 1953. Wir verstehen diese Spanne, die fast ein halbes Menschenleben umfasst, als einen historischen Block immenser Schreckenserfahrung – verbunden mit starker Verunsicherung und wiederholter Auflösung gültiger Normen und Werte. Eine unserer Thesen lautet: Eine bislang wenig beachtete, vielleicht gar ihre wichtigste Bewältigungsform sei die verzweifelte Suche nach Normalität. Im Namen ihrer „Re-Integration in die Normalität“ – so die US-amerikanische Historikerin Monica Black – blendete der Großteil der deutschen Bevölkerung das in jenen Jahrzehnten Durchlebte aus, verschwieg und verdrängte die in Krieg und nationalsozialistischer Herrschaft getätigten Erfahrungen, statt sie aufzuarbeiten und nicht der Folgegeneration zu übertragen.

Denn in uns allen liegt die Sehnsucht nach dem Einen

«Mutter, hast du mir vergeben», die Dietrich vor Augen. Eindringlich unter die Haut gehend, schwer aufatmend und dann der mögliche Disco-Knaller «Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da». Uff, gut gab es «Kauf dir einen bunten Luftballon» zum Programmende, der schön und ruhig richtig durchatmen liess. Ganz schön ramponiert und doch high war die rauschhafte Achterbahnfahrt nach 50 Minuten fast vorüber, bevor, ja ja, tüchtiger Applaus, dann doch die passende Zugabe mit «Das Lied ist aus» gegeben wurde.
Völlig geplättet brachte ich noch ein Grandios! zu meiner Sitznachbarin heraus, dann weiter Händewundklatschen und Bravorufen. Marcel Daemgen lud nach einer Beruhigungspause alle auf ein Glas Sekt ein und der Umtrunk wurde mit dem Toast «Musik ist Trumpf» eingeläutet. Zwei drei Worte des Lobes konnte ich an den eindrücklichen Oliver Augst richten, er lobte retour und dann hiess es schon wieder weiter gehts, da die Bahn kurz vor Mitternacht nicht ohne mich fahren sollte. Und die Musik fuhr ein ganzes Stück weit mit.

Summerboots over

Die Darbietung der pastellfarbenen Tanztruppe aus Barbarella-Zeiten dünkt selbst aus heutiger Sicht überraschend freizügig. Summer of Love, Flower Power und California Dreaming waren hoffnungsvolle Versprechen der popkulturellen Hegemonie des Westens, obschon die Sonne eben dort unterzugehen beliebt.

Nett aber, dass Herbst und Winter auf der Nordhalbkugel etwas kürzer sind als Rest…

Open AIR

Auch ohne Sommer geht die Konzertsaison dank Regenponcho nahtlos munter weiter.

Mit einer Welttournee feiert das französische Duo AIR 25 Jahre Moon Safari – jenes epochale Werk erschien kurz vor der Jahrtausendwende und kreierte eine wahrlich bezaubernde Stimmung. AIR steht für epische Elektroballaden mit schlau verschachtelte Rhythmen nebst eingängigen Melodien und schlichten aber klaren Textbotschaften. Der Sound selbst ist überraschend gut gealtert, analoge Korg-Synthesizer und eine knarzige 808 von Roland sind an Krassheit einfach nicht zu toppen. Dazu der brachiale Einsatz eines hinzugezogenen Spezialisten in Sachen Perkussion und fertig ist die Kiste.

Weiss wie die Musiker war nämlich die Kiste und von hinten wurde mächtig Licht nebst kurzen Videos projiziert. Das kontrastreiche und bunte Schattenspiel war geradezu grandios anzusehen. Das Setting in der Bühne auf der Bühne verwehte zwar etwas im Freien und wirkt sicherlich um einiges imposanter in einem geschlossenen Konzertsaal, wo sich Licht, Nebel und Klang nicht ganz so leicht verflüchtigen können, doch ist die Idee und Konzeption dieses optischen Gesamteindruckes eine wahre Meisterleistung.

Leider war der Juniabend etwas feucht im Hof des Zürcher Landesmuseums, doch tat dies der Stimmung aufgrund der verblüffend vielen guten Songs keinen Abbruch. Nach dem imponierenden Replay von Moon Safari wurden in der zweiten Hälfte noch etliche weitere Hits v. a. aus Talkie Walkie und 10 000 Hz Legend gegeben und all dies mit unerhörter Perfektion. Als Connaisseur Begeisterung nur Hilfsausdruck. Gleich unserem Zentralgestirn wurde lediglich Le soleil est près de moi etwas vermisst.

Zunächst wollte die Open-Air-Novizin gleich in die Frontrow, was der erfahrene Seniorhörer mit Hinweis auf bester Sound immer in der Nähe des Mischpultes schlicht verweigerte. Wenig später wurde das überraschte Staunen über die körperliche Reaktion auf die ausgestrahlten Sub-Frequenzen im Oberkörperbereich gegen die Akzeptanz eines seriösen Abstandes von der Boxenwand gerne eingetauscht. Der famose Rausschmeisser Electronic Performers wurde dann noch einmal mit der ganzen Wucht sämtlicher vorhandener Elektronen zum Besten gegeben.

Dem Hobbyschweizer klingen noch am Tag danach die Ohren, da die dargebotenen Gadgets tapfer im Hosensack verbleiben…

Danger in Luzern

Seit dem überwältigende Erfolg der deutlichen Ansage in «Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt» durch Danger Dan stand eben jener schon ziemlich lange nicht nur auf der eigenen Wunschliste; entweder ziemlich rasch ausverkauft oder aber terminlich und örtlich unpassend. Beim dritten Versuch hat es nun endlich geklappt und eines der letzten Tickets konnte ergattert werden. Die Vorfreude war riesengross, das Wetter prima und mit etwas zeitlichem Vorsprung konnte nun auch die architektonische Schönheit KKL näher in Augenschein genommen werden. Das freitragende Dach und der Balkon ganz oben stilvoll und mit schöner Aussicht aufs Alpenglühen. Wirklich eine kleine Preziose dieses Luzerner Konzerthaus!

Zur Einführung kokettierte der Kurator schon ein wenig mit seinem Publikum, als er aus dem bildungsbürgerlichen Blatt NZZ vorlas, welches ein sich dezidiert politisch äussernden Liedermacher auf einem Klavier-Fest als Fehlbesetzung hinterfragte. Zitat: «Ob das alles noch von der Idee eines traditionellen Klavierfestivals gedeckt ist, steht auf einem anderen Blatt.» Doch Igor Levit und Danger Dan hatten Heimspiel sowieso und Auswärtsfans waren quasi nicht zugelassen.

Das den Wert der Tradition so nicht unbedingt teilende Publikum betrachtete die kurze Lesung als muntere Auflockerung und quittierte mit lautem Lachen und ironischem Applaus.

Foto: © Patrick Hürlimann

Zunächst mit Solo-Programm alleine auf der Bühne, später dann mit einem engagierten Heck Quartett und noch etwas später, als der Liedermacher am E-Piano anscheinend nicht mehr weiter wusste, half der vom Publikum mit Igor-Rufen geforderten Edelpianist selber aus und zeigte, welche Töne aus den Tasten zu holen sind, wenn man Noten lesen kann. Denn das DER Unterschied – Levit hatte sogar einen Assistenten, der das iPad mit Ständer auf die Bühne brachte, von dem fleissig abgelesen wurde…

Foto: © Patrick Hürlimann

Daniel und seine Freunde lieferten – donnernd und bebend tobte der bis zum 4. Rang gefüllte Saal und fast alle machten mit, als Danger Dan darum bat die Handylampen zu einem Liebeslied aufleuchten zu lassen. ESC? Noe. Schlager kann auch Antifa.

Foto: © Patrick Hürlimann

Trotz aller professionellen Bühnenpräsenz liess Danger Dan in den Zwischenansprachen immer auch das menschliche und politische Ansinnen durchscheinen, besonders als von den Streichern eine sich gegen den Nazi-Terror richtende Komposition «Mein Vater wird gesucht» von 1935 musikalisch eindrücklich und berührend gegeben wurde. All das sicher keine Pose, sondern ernsthafte Haltung, wenn es weiter um rechte Rattenfänger, Sextouristen in Thailand oder den alles verzehrenden Kapitalismus wie in Ölsardinienindustrie ging.

Nach der zum Kafka-Jahr passenden Verwandlung und vollends glücklich berauscht rollte der äusserst gelungene Luzerner Abend noch selig mit im Zug retour nach Zürich.

Aber dann kommt die Angst so zu sein, wie du warst
Löst die Ängste aus deiner Vergangenheit ab
Du erinnerst dich nicht, aber ganz genau das
Was du bist, wolltest du nie werden, hast du gesagt
Die Angst so zu sein, wie du warst
Löst die Ängste aus deiner Vergangenheit ab
Eines Morgens wachst du auf in der Gestalt eines Käfers
Die Verwandlung kommt über Nacht


PS: Ein herzliches MERCI an den Fotografen Patrick Hürlimann, über den ich einige seiner schicken Bilder direkt vom Lucerne Festival erhalten konnte. Das natürlich Kirsche auf dem Sahnekuchen!

PPS: Vom Festival selbst gab es es für alle Gäste noch einen netten Rückblick auf Youtube.

 

Igor kanns

Zur Begrüssung hat Pianist und Kurator Igor Levit das Programm vom Luzerner Klavier-Fest kurz vorgestellt, nicht ohne besonderen Hinweis auf seinen ebenfalls politisch voll korrekten Bro, nämlich den gefährlichen Daniel, welcher am Sonnabend laut Levit nur wegen ihm sein einziges Solokonzert in 2024 spielen wird! Vermutlich wird zur Kunstfreiheit referiert und der Hobbyschweizer kann den konzertanten Vorsommer weiterhin livehaftig geniessen. Ob das Klavier eventuell mit Strom verstärkt wird, wird sich weisen dann.

Zum Aufwärmen der puren Handarbeiten am Eröffnungsabend gab es etwas Bach, gefolgt von einem hübschen Brahms-Konzert und nach der Pause die wirklich tolle Interpretation der 3. Sinfonie von Beethoven in der Klavier-Version von Liszt. Nach der gefühlvollen und heftigen viersätzigen Bearbeitung des Flügels schwappte der stehende Applaus nur so durch den Saal, Bravo-Rufe allerorten und auch sonst war für CH-Verhältnisse eine sehr ausgelassene Stimmung im Saal – alle waren hin und weg von der faszinierenden Darbietung eines wahren Könners.

Als Betthupferl gabs fürs artige Publikum noch den Mittelsatz aus der Pathétique-Sonate vom Beethoven-Zyklus zum sanften Runterkommen. Richtig wohltuend und mir war bereits vorher klar, dass der Igor zum Schluss noch einen Beethoven-Joker ziehen wird. Überragend gespielt Herr Levit!

Apropos, falls Nemo mit seiner Scheibe gewönne stünde mit dem KKL ein prima ESC-Austragungsort zur Verfügung, kleine aber feine Schuhschachtel mit überragender Akustik!

Mark Stewart missing

Capitalism is the most barbaric of all religions.

Heute vor einem Jahr verstarb im Alter von 62 Jahren Mark Stewart. Musikalischer Guru nur Hilfsausdruck. Bereits seine erste Formation The Pop Group bot neuartige und explosive Klangmassagen an. Die innovative Kapelle kreirte verstörende, rhythmusbetonte Musik zu sozialkritischen Texten. We are all Prostitutes, We are Time, Snowgirl waren allesamt bahnbrechend und funktionierten mit der brachial verzerrten Stimme von Mark Stewart inklusive zahlloser Overdubs einfach famos. Sicherlich ist die musikalische Wirkung heute eine andere als vor fast 45 Jahren, doch ist die flirrende Energie noch immer spürbar.

 

We are all prostitutes
Everyone has their price
Everyone
And you too will have to learn to live the lie

Ebenso wie wenig später bei Mark Stewart and the Maffia, die quasi als All-Star-Band formiert eine schiere Prachtcombo waren, die herausragende Musiker inklusive eines genialen Tontechnikers in Person von Adrian Sherwood vereinte. Etliche brillante Alben mit unvergesslicher Musik waren das gelungene Resultat. Hypnotized, Don’t ever lay down your arms, Stranger than Love, Survival, These things happen, Hysteria, Forbidden Colour. Live zudem ein wahrer Ohrenschmaus mit Teilen der Sugarhill-Gang und Keith LeBlanc – ein Auftritt im Maria am Ostbahnhof weit nach Mitternacht bot kurz vor dem Ausreiseantrag einfach alles, zumal Mr. On U Sound Sherwood leibhaftig die Regler justierte.

We are the antidote to the war machine.

Bis zuletzt werkelte Stewart an seinem Bristol-Style und auch seine finale Veröffentlichung (ein Track sogar mit Lee Scratch Perry!) war wie immer voller Echo & Dub, wahrhaftig & neurotisch, krachend & grell. Schöne und treffend geschriebene Nachrufe aus UK hier, überraschenderweise von Tante FAZ da und selbst der Spiegel erinnert dort.

Schade um ein Unikat weniger.

Liedgüter

Das Schweizer Volksliedgut muss vor der Vergessenheit bewahrt werden. Jedenfalls treibt jene Sorge die erst jüngst lancierte Initiative an, welche nun frisch einspielte Schweizer Volkslieder in allen Landessprachen publiziert und präsentiert. Anscheinend soll durch diese Aktion versucht werden, die mit den Jahren diverser gewordene Eidgenossenschaft abseits von Spotify zu re-helvetisieren und der gesanglichen Volks-Amnesie vorzubeugen.

Zum Liedbuch erscheint zugleich eine Compact Disk, wobei für die meisten jüngeren Menschen das hierfür erforderliche Abspielgerät vermutlich keineswegs evident ist. Also werden wohl eher die Alten jene alte Weisen repetieren, was jedoch die Aussicht auf sangeskundige Grüzinis in der Bergwelt kaum trüben kann, da dank Echo der naturverbundene Overdub sowieso allzeit parat steht. Oder sollte zum ultimativen Hörerlebnis vielleicht besser noch ein rustikaler SVP-Buurezmorge hinzu gebucht werden?

Allerdings tönen die neu aufgenommenen Versionen etwas arg aseptisch und viel zu sehr gewollt, als dass Freude beim Rosenpflücken tatsächlich aufkommen könnte. Die Werbe-Plakate allerdings voller Dada, Respekt.

Happy Hanukkah!

Es werde Licht – ab heute frisch: endlich wieder gratis Lichtminuten, weil Ekliptik schief.

Für die musikalische Untermalung der Lichterfeste aller rauhen Nächte hier noch ein dringender Anspieltipp aus dem hohen Nordosten, wo Radio Lehmann unermüdlich tönende Perlen vor die Säue wirft. Bei Herzschmerz oder nicht, Radio Lehmann hören ist Pflicht. Bildungsauftrag nur Hilfsausdruck. He simply got the bits which really bite.

Värslischmid

Hans Peter «Mani» Matter (* 4. August 1936; † 24. November 1972)

Der noch immer bekannteste Schweizer Mundart-Liedermacher verunglückte vor 50 Jahren auf der Autofahrt zu einem Konzert in tödlich. Kurz zuvor stellte der begabte Troubadour das Libretto zu seiner Anti-Oper namens «Der Unfall» fertig, worin ein Fussgänger überfahren wird, weil dieser – völlig in Gedanken an eine verpasste Musikkarriere versunken – unachtsam eine Fahrbahn kreuzt.

Matter hat die der heimatlichen Folklore verbundene Berner Mundart mit viel sprachlichem Geschick zu einer dichterisch vielseitigen Ausdrucksform verwandelt, mittels der man durch semantische Verkürzung mit wenig viel sagen kann. Zudem steckt sich in seinen Versen oftmals ein brillanter Wortwitz, der durch humorvolle Entlarvung vom Menschen und seinen Nöten eine Art katharsische Befreiung durch lauthalses Lachen gewährt. Merssi viu mau!

Was ist das Ziel?

Es ist November und der Regen
kriecht durch die Kleider auf die Haut.
Ich geh alleine auf den Wegen
die mir vom Sommer her vertraut.
Wem wohl die kalten Tage nützen?
Was gestern lebte ist heut taub.
Und in den schmutziggrauen Pfützen
ertrinkt der Bäume welkes Laub.
Was ist das Ziel in diesem Spiel,
das der Natur seit je gefiel?
An ein paar Zweigen hängen Blätter,
die heut Nacht der Wind vergaß.
Den Pavillon versperren Bretter,
wo manches Liebespärchen saß.
Sogar die Nester in den Bäumen
sind ohne Leben, ohne Sinn.
Und mir alleine bleibt das Träumen,
weil ich ein Mensch mit Träumen bin.
Was ist das Ziel in diesem Spiel,
das der Natur seit je gefiel.
Ich bin auf einmal so alleine,
wo ist das Glück, das hier begann?
Die kahlen Bäume und die Steine
die schaun mich durch den Regen an.
Ich suche oben in den Sternen
ein wenig Trost für mein Geschick.
Doch der, der Trost sucht, sollte lernen,
er ist vergänglich wie das Glück.
Was ist das Ziel in diesem Spiel,
das der Natur seit je gefiel.
Doch aus Verzweiflung wächst das Hoffen,
das uns die Kraft zum Atmen schenkt.
Zwar bleiben viele Wünsche offen,
weil irgendwer das Schicksal lenkt.
Solange hier bei uns auf Erden
man einen Hauch von Leben spürt,
sorgt das Schicksal für das Werden
und gibt das Glück, wem Glück gebührt.
Das ist das Ziel in diesem Spiel,
das der Natur seit je gefiel.

[Lied Alexandra 1968, Bild Joken 2022]

Black As Burundi Is No-Go

Kürzlich im Intercity beim Grenzübertritt CH – GER überraschend Personenkontrolle. Natürlich nicht bei uns, nicht bei hellhäutigen Langnasen. Die deutschen Grenzpolizisten überprüften gezielt die dunkelhäutigen Mitreisenden: eine dreiköpfige Kleinfamilie und noch ein weiterer Passagier im Abteil vis-à-vis waren dran; das ganze irritierende Schauspiel zwischen Schaffhausen und Singen dabei in direkter Sicht- und Hörweite. Sie kämen aus Italien und wollten nach Belgien (verrückt, von einem Kolonialland ins direkt nachfolgende, Geschichte wird vorgemacht), hatten aber keine Visa. Aus Burundi die Familie und dem benachbarten Kongo seien sie ursprünglich und das radebrechende Englisch der strengen Grenzschützer beantworteten sie jeweils auf Französisch. Alles Wehklagen und Bitten half nichts und am Grenzbahnhof mussten die Bedauernswerten zur erkennungsdienstlichen Behandlung den Zug verlassen. Unklar was den Aufgegriffenen in den nächsten Stunden blühte, Belgien jedenfalls passé.

Falls Schengen, dann retour ins Erstaufnahmeland, sonst Abschiebung. Abschiebungshaft wohl sowieso. Hilflos konnte der Mutter des Kleinkindes immerhin noch ein Taschengeld und ein aufmunterndes «bonne chance!» mit Wasser in den Augen zugesteckt werden. Tochter sprach von Rassismus.

Racial Profiling

Die Nachbesprechung zur Bewältigung schwierig bis moll; Bundespolizei macht nur Job, muss aber kein Berufswunsch sein. Flüchtlinge machen alles für besseres Leben. Klima, Kriege und wirtschaftliche Ausbeutung erzeugen mehr Flucht. Kontrollen dafür mehr, Frontex nur Hilfsausdruck. Reichtum bewachen oder teilen? Und sowieso – Flucht war und ist immer. Kontrolle im Zug dabei verblüffend zielgerichtet, d`accord. Binnenschengen eigentlich ringsum – Kondukteur als Tippgeber?

Tochter wiederholt Rassismus und hat wohl recht.

Appropriation culturelle

Noch ganz in Gedanken an das traurige Schicksal der offensichtlich vorerst gescheiterten Flüchtlinge tauchte bei der schunkelnden Weiterfahrt langsam zum Stichwort Burundi das Trommelfeuer in den Clubs der 80er-Jahre in Westberlin aus der Erinnerung auf. Da war doch was, richtig: Burundi Black – einer der ersten Ethno-Disco-Hits, welcher häufig in den wilden Nächten gespielt wurde und es dank John Peel sogar in die Dancefloor-Charts schaffte. Eine kurze Recherche ergab, ein sich selbst pseudonymisierender französischer Musiker hatte das von einem Ethnologen bereits 1967 in situ aufgenommene Trommelstück 1971 mit Overdubs versehen und mit einer bogenartige Piano-Melodie arrangiert als Single veröffentlicht. Natürlich krasse Aneignung neokolonialer Art – nix für Burundi, alles für den weissen Beutekünstler. Rein pekunärer Tribalismus, gleiches geschah beim 80er-Remix. Immerhin konnten durch den späteren Chart-Erfolg einige der nachkommenden Trommelwirbler auf Europa-Tour bei den üblichen Festivals ein kleines Auskommen finden. Mutmasslich nicht ganz unwichtig, weil Burundi schon länger ewig unter den letzten fünf auf dem Index der menschlichen Entwicklung.

Diverse Versionen

Die mir damals ohne die ganze Vorgeschichte bekannte Version ist die im Basement 61 wie im edlen Dschungel präferierte 80er-Mischung. Ein Ohr darf man ruhig der etwas kitschigen und doch rauhen Raubkunst der überarbeiteten 7-inch leihen. Das hypnotisch pumpende Trommelgewitter in der Originalaufnahme ist aber hier zu hören:

So – ich geh jetzt mir Dreadlocks wachsen lassen.

Déjà-vu

Keine Atempause,
Geschichte wird gemacht.
Es geht voran!

Als mit englischen Bekannten kurz nach dem Mauerfall in Westberlin über die zukünftige Welt gehirnt wurde, tauchte allmählich der Gedanke auf, dass logischerweise mit dem Ende der Nachkriegszeit nun die Vorkriegszeit begonnen habe. Wie naiv – Zeit für Krieg ist immer. Allein seit 1990 Jugoslawien, Ruanda, Kosovo, Tschetschenien, Afghanistan, Irak, Jemen, Libyen, Syrien, Mali, Bergkarabach, Ukraine. Und das nur die Blue Chips.

Seit 1989 hat die Siegererzählung dominiert – die westliche Euphorie unterschätzte historische Analogien untergehender Imperien und geriet in eine Form struktureller Naivität. Wir müssen uns von der Vorstellung eines irreversiblen historischen Fortschritts verabschieden. Die glückliche Phase, in der wir Friedensdividende konsumiert haben, in der wir uns im Wesentlichen um Sozialpolitik und nicht Sicherheitspolitik gekümmert haben, geht zu Ende. Wir gehen in eine andere Zeit hinein, ob wir das wollen oder nicht.
(nach Herfried Münkeler im DLF)

Leider ist nicht damit zu rechnen, dass der unisono Sound vom Säbelrasseln alsbald wieder verhallt. Dass militärische Aufrüster beim momentanen Verteidigungsfuror den Ton angeben, ist für einen Drückeberger schon arg befremdlich. Make love, not war.

Fussnote [ Euro-Maidan und Fuck the EU ]

Kriechspur

Auf den gut 2000 Höhenmetern des Oberengadiner Seitentals Val Bernina wird für den Unterländer Hobbyausflügler die Luft bereits etwas dünn. Bunte Farben flirren wie wild über den Schneeteppich und es scheint, als wäre die gleissende Sonne eine transzendente Discokugel. Die monotone Konzentration auf Schritt und Tritt wirkt fast meditativ. Geh-Rhythmus und Atem-Tempo üben ein inniges Duett, welches bei den kurzen Anstiegen aus einem gemächlichen Largo in ein wildes Allegro auszubrechen droht, bevor ein obskures Metronom am Wegrand an das Adagio erinnert und letztlich sich alles in einem endorphingesättigten Lento karthatisch prima auflöst.

Grạzcha fich!

Langsamverkehr-Netz Bündnerland

Round and round and round it goes

Where it stops – nobody knows.

Eingeführt in die Magie des gefadeten Hyper-Bass nebst enormer Loop-ings hatte einst Djane La Hopf am Montagabend, als im Myśliwska der Galatassaray-Tanz-Kulübü solange die Nachbarn wollten tagte, während übermütige Freizeit-Boxer ihren Wasserhaushalt mit Bier egalisierten. Wenig später genasführt von Sirqus Alfon und nicht mal ich wollte mit mir zum Live-Konzert von Daft Punk. Around the world aber blieb eines der wenigen Liedgüter, bei denen selbst der Hobbyschweizer öffentlich ganz gerne zum Problemtänzer wurde.

Vorüber rauscht die Jugendzeit, gehört doch der Rausch popkulturell zur Jugend und verspricht selbige auf ewig.

Thank you for the music, the songs I’m singing
Thanks for all the joy they’re bringing
Who can live without it, I ask in all honesty
What would life be
Without a song or a dance what are we
So I say thank you for the music
For giving it to me

Nebelflor im Wolkenmeer

Auf Gitschenen, einem Hochtal oberhalb von St. Jakob im Isenthal (UR) zieht vor dem winterlichen Föhnsturm der Hochnebel in Schwaden an den Bergflanken entlang. Kleine Lichtblicke erlaubt die knapp über den Gipfelkuppen stehende Sonne, die den Nebel an- und vertreibt. Trotz aller Wandererfahrung immer wieder neue Erkenntnisse für den Hobbyschweizer – alpine Wintertouren benötigen bei Neu- und Tiefschnee besondere Unterlagen – Schneeschuhe gehören unbedingt zur Grundausrüstung. Dank gespurter Pisten waren immerhin ein paar Kilometer Schneewanderung machbar und der Gipfelrum bei aller Kälte und frischen Luft hoch verdient.

Se di nubi un velo m’asconde il tuo cielo
pel tuo raggio anelo Dio d’amore!
Fuga o sole quei vapori
e mi rendi i tuoi favori:
di mia patria deh! Pietà,
brilla, sol di verità.                                                                   °

Talwärts beim Zwischenhalt in Bauen am Urner See eine freudige Überraschung – der Hobbyschweizer trifft auf den Komponisten vom meteorologischen Schweizer Psalm und schwört sich schon mal warm.

© pics by abauma

Kozmic Blues

Time keeps moving on
Friends they turn away
I keep moving‘ on
But I never found out why
I keep pushing so hard the dream
I keep trying‘ to make it right
Through another lonely day

Dawn has come at last
Twenty-five years, honey just in one night, oh yeah
Well, I’m twenty-five years older now
So I know we can’t be right
And I’m no better, baby
And I can’t help you no more
Than I did when just a girl

But it don’t make no difference, baby, no, no
And I know that I could always try
It don’t make no difference, baby, yeah
I better hold it now, I better need it, yeah
I better use it until the day I die

Oh but keep trucking on

Whoa


Janis Lyn Joplin 1943-1970