Schwierige Kindheit

In der Volksrepublik Schweiz wird Anfang März über kapitale Schweinereien abgestimmt. Die so genannte Abzocker-Initiative wird von vielen staatstragenden Parteien, der Bundes-Regierung sowie der allgegenwärtigen Wirtschafts-Lobby abgelehnt, weil wegen Wettbewerbsnachteil. Hach! Die arrivierte Manager-Clique hat spürbar Respekt vor des Volkes Stimme und fürchtet das blanke Elend hierzulande, versucht dieses aber durch einen perfide nachgeschobenen und klar verwässerten Gegenvorschlag an der Urne noch zu vermeiden.

Kapitalismus war als Kind schon scheisse, Scheiss Kapitalismus

Plakat zum 1. Mai 2012 auf dem Idaplatz in Zürich

Nachdem die Abstimmung ganz im Sinne der Clique jahrelang verzögert werden konnte, werden vom Unternehmer-Verband nun Unsummen an der publizistischen Abstimmungsfront verballert, damit sich die bloss den Aktionären verpflichteten Firmen-Vorstände weiterhin eifrig aus der Bonus-Kasse bedienen können.

Rechtzeitig vor dem Ple­bis­zit hat jetzt der dreisteste und bekannteste Abzocker vom Bio-Tech und Chemie-Multi Novartis seinen baldigen Rückzug angekündigt. Sicher kein Zufall sondern nahezu perfektes Timing, da die Initiative nicht zuletzt aufgrund seiner Gier zustande kam, wobei Vorstand Vasella mit 300 Mios in 11 Jahren eindeutig den Vogel abschoss, allerdings ohne dabei so schön wie Müller oder Messi zu treffen.

Ablasshandel

Neuerdings sind in Zürich ganz in der Nähe einschlägig bekannter Orte umgerüstete Parkuhren mit rotem Regenschirm-Symbol platziert.

Ticketautomat für Sexarbeiterinnen Zürich, Tickets for Prostitutes Zurich

Gibt es hier womöglich Eintrittskarten für die Heilsarmee?

Kaum. Auch keine Regenschirme. Die Stadt Zürich will unbedingt den anschwellenden Sexarbeitsmarkt regulieren. Bordsteinschwalben müssen neben obligatorischer Arbeitsbewilligung und Krankenversicherung nun für die Zeit zwischen 19h und 5h zudem eine Stehplatzkarte vorweisen.

Ticketautomat für Sexarbeiterinnen Zürich, Tickets for Prostitutes Zurich

Auf dem Zürcher Strassenstrich wird zunehmend osteuropäisch verkehrt

Potzdamblitz

Also Zeit rast ja meist, fliegt quasi. Schnell wie ein Pfeil, manchmal leicht gekrümmt wegen dem vielen Raum durch den so eine Zeit schleunigst hindurch muss. Zeit anzuhalten ist unglaublich schwierig, also eigentlich unmöglich und macht nur sentimental. In der Kunst wird wie im Privaten gerne versucht verflossene Zeit zu verfestigen, indem man sich ein Bild von ihr macht. Pop ist seit jeher eine ganz beliebte Fallgrube für Zeitgefühl und vielleicht genau darum macht der Oursler Tony in Videos. Aktuell Pop-Musik-Videos, aber immer mit in/auf Puppen projizierte Gesichter. Das ist schön schräg und bricht die Wahrnehmung durch einfache Verfremdung nebst frischer Meta-Ebene.

In unserem heutigen Beispiel haben wir es mit einer Art drogenfreier FSK 6 Halluzination mit Stehblues-Romantik in hemdsärmeliger Werkstatt-Atmosphäre zu tun. Die Pop-Star-Puppe wirkt dabei von der Zeit stark geprägt, während die zweite dazu einfach schweigt. Nach schlichtem Abgang bleiben die Larven leer zurück.

„Time may change me, but I can´t change time.“

Aus der Exsklaven-Perspektive betrachtet sind die etwas willkürlich erscheinenden Berlin-Tupfer trotz Schwarzweiss kunterbunt. Zudem sorgt der elegische Sound mutwillig für eine altersmilde Unschärfe. Und als die Zwanzigtausend ohne Begrüssungsgeld über die „Bose Brucke“ zum Kudamm pilgerten, blieb die Zeit tatsächlich für einen Augenblick stehen. Jedenfalls für den in SO 36 recht verwirrt staunenden Hobbyschweizer.