Schlagwort: Wanderlust
Schneeschub
Vor dem dräuenden Weltuntergang besser noch eine Genussrunde einlegen, dachte sich der Hobbyschweizer und nach erfolgreichem Wetter- und Routenstudium ging es zeitig los.
Der durch einen Kälteeinbruch ankündigte und eingetroffene Neuschnee bis auf 800 Meter motivierte für einen letzten Saisonausritt auf den wirklich empfehlenswerten MSR. Eine als eher schwierig bezeichnete Etappe sollte mit ca. 600 Höhenmetern im Dreiviertelkreis durch das Mythengebiet führen. Der Beginn war vielversprechend bei klarer Sicht und strahlendem Blau-Weiss, gut wurde die frühest mögliche ÖV-Verbindung in die Urschweiz gewählt. Der frisch gefallene Schnee war super angenehm, vor allem im Stolpern und Fallen – die Decke mit 50 bis 70 cm eben sanft gepolstert. Im Anstieg rann der Schweiss, die Sonne leuchtete (noch) strahlend und von den Bäumen gab es permanent Schneeduschen. Im hellen März immer wieder besonders beeindruckend das Glitzern und Funkeln der Kristalle im Gegenlicht. Magie nur Hilfsausdruck.
Auf einem Vorgipfel ein kleiner Werbehinweis auf Seniorenschlitten; eigentlich stünde ja der Grindelwalder «Velogemel» bereits länger zur Disposition, doch könnte die voraussichtliche 13. Monatsrente ebenso gut in einen bequemen Mythenrodel investiert werden. Mol luege.
Die letzten steilen Meter auf den Furggel waren aufgrund vom Trainingsrückstand etwas hart; glücklicherweise pappte der Schnee trotz Lawinenwarnstufe 3 ganz gut zusammen. Oben dann leider keine Aussicht, ausser einem kurzen Lichtblick auf die Urner Alpen war kaum etwas zu erspähen und der Grosse Mythen in der Nebelsuppe nun gänzlich ersoffen. Respekt und Bewunderung aber für den vergnügt schneebadenden Gipfelstürmer, der tatsächlich im T-Shirt und Barfuss seine Durchblutung tüchtig förderte. Als Warmduscher mutete derart Ritual schon etwas befremdlich an.
Mangels Aussicht ging es nach der benötigten Kalorienzufuhr bergab rasch weiter, allerdings kam immer mehr Hochnebel auf – gut hatte es hier und da deutliche Verkehrszeichen.
Beim queren der Skipisten war der spätsaisonale Frühsportler froh, dass fast kein Betrieb herrschte. Immer gut, wenn man mitten in der Woche auf Tour gehen kann. Vorbei an Bright Vader wurde alsbald die digitale Karte bemüht, da völlige Orientierungslosigkeit drohte.
In der Folge kam es zu einem Zusammenschluss mit einer ebenfalls die richtige Spur suchenden Mitläuferin und gemeinsam bewältigten wir das letzte Teilstück zur Rettungsgondel. Interessant sprach die Schwyzerin tatsächlich von Inner- und Ausserschweiz, dachte bislang diese Nomenklatur gäbe es nur im Wallis. Tja, Schweiz hobbytechnisch halt weites Feld. Jedenfalls wärmte das Bergrestaurant noch kurz und kräftig auf und offerierte überdies eine ganz neue und überraschende Idee: nämlich ein wenig nächtigen direkt vor Ort, gefolgt vom Aufstieg mit Stirnlampe zum Sonnenaufgang auf dem versoffenen Berg. Tönt prima immerhin.
Die Gondelfahrt hinunter ins Tal gab schloss das letzte Viertel des heutigen Kreises und in der Kabine gab es noch die Erzählungen eines über 80-jährigen Skifahrers, der mitschwebend von seinen Erlebnissen auf diversen 4000ern berichtete. Scheint als hielten Berge jung und die gut 10 Kilometer auf Schnee machten durchaus Spass und Lust auf mehr im Frühsommer dann. Die Partnerin vom Orientierungslauf brachte mich freundlicherweise rasanter als das Postauto runter ins Dorf, und die Mitbringsel aus Einsiedeln dann wie üblich von Walhalla, gleich vis-à-vis vom Bahnhof.
Delikat Essen CXXXVI
SB Teestube am Fusse des Uetlibergs – kulturelle Aneignung anyone?
Traumaberg
Gleich beim ersten ernsthaften Einsatz am Berg in der vom Wetter prima unterstützten alpinen Auszeit kam die erkenntnisreiche Erinnerung noch weit vor dem Gipfelziel jäh wie ein Blitz. Im Zwiegespräch bergan tauchte wie so oft die Frage nach dem Warum auf. Warum schwitzen, schnaufen, quälen. Warum die permanente aerobe Kontrolle und warum bist du eigentlich hier. Die Verlockung auf Aussicht? Oder etwa Traumabewältigung?
Kinderlandverschickung
Jene Massnahme sorgte für Furcht vor, während und noch lange nach dem Aufenthalt in Oberstdorf im Allgäu. Fünf quälend lange Wochen dauerte die Zeit in einem ärztlich verordneten Kinderheim. Mehrbettzimmer, alle anderen Jungs älter und grösser. Haut auf der Frühstücksmilch, Kümmelgeschmack im Marmeladebrot, viele Wanderungen und tägliche Bewegung an der frischen Luft. Zum ersten Mal im Leben wurde vom Stadtkind dort Kuhdung gerochen. Und das täglich und ausgiebig. Kühe aber interessant, die hatten laut schellende Glocken um den Hals.
Für den gerade noch Sechsjährigen ein gravierender Einschnitt – der Abschied bei der Übergabe im Stuttgarter Bahnhof war schlimm und voller Trennungsschmerzen. Lange hielt sich der Gedanke an eine Art familiärer Verstossung. Warum sonst musste ich so weit weg in eine bergige Gegend, von der der Kinderarzt überzeugt war, dass sie die Konstitution stärke. Gut 20 Jahre vorher hat der doch bestimmt die Tauglichkeit der Hitlerjugend attestiert. Mir kleinem Pimpf hatte er bereits Lebertran verordnet. Lieber Lebertran als Berge, soviel stand fest. Doch Doktor Herz setzte die Verschickung durch, war diese nicht auch ein Relikt aus dem schrecklichen Reich?
Post-Allgäuer Drama
Von den Eltern wurde ein wenig Sackgeld mitgegeben, das als grosser Schatz angesehen wurde, welcher unbedingt der Wachsamkeit bedurfte. Waren es ein Fünfmarkschein oder deren zwei? Jedenfalls reichte es für eine Ansichtskarte, für die beim Schreiben noch Hilfe der dortigen Schwestern benötigt wurde; die Einschulung folgte dann erst im Herbst darauf. Dass die Miniatur-Kuhglocke, welche fast täglich durch die Schaufensterscheibe des Souvenirgeschäfts angestarrt, taxiert und natürlich erst nach mindestens ebenso oftmaligem Nach- und Durchrechnen (Budget!) ausgewählt und unter meiner Zeugenschaft eingepackt wurde (Schwestern halfen beim Kofferpacken am Vorabend der Abreise) nach der freudigen Rückkehr aus dem Straflager beim Kofferöffnen nicht mehr im dem selbigen aufzufinden war – Drama pur!
Abgrundtiefe Traurigkeit gepaart mit blankem Entsetzen gefolgt von massloser Enttäuschung, fiel doch der Verdacht auf die grossen Jungs im Mehrbettzimmer, die bestimmt die Glocke aus dem Koffer nahmen, als ich schlief. Anders war dieses Ungemach nicht zu erklären, zumal ein Film von der in Seidenpapier eingewickelten Glocke am bestickten Lederband zuoberst im Koffer immer wieder ablief. Allgäuer Aufenthalt also recht bescheiden und nun blieb nicht mal ein Andenken.
Bergecho
Als 30 Jahre später der Corvatsch in Bünden heimtückisch mit einem Kreislaufkollaps drohte, weil leichtsinnig schnurstracks auf 3.300 hoch gegondelt wurde, half schnell die Büchse Cola, um gerade wieder genesen an der Talstation noch den ehrfürchtigen Blick eines orthodoxen Jünglings auf das IDF-Shirt zu erhaschen. Nein, mit Bergen schien weiterhin keine Symbiose möglich.
Wenig später dann ein Trip nach Südtirol und die hübsche Terrasse des Ausflugslokal zeigte Bergsicht auf die Dolomiten oder sonst was, jedenfalls live mit einem wohl gealterten und kenntnisreichen Luis-Trenker-Verschnitt bei Speis & Trank rustikaler Art öffnete die Augen auf etwas, was zuvor nicht gesehen oder vielmehr spürbar war: nämlich Resonanz.
Denn fast nichts macht mehr Freude, als den Kampf mit sich selbst im Einklang zu beenden. Und wenn dies im Interim zwischen Erde und Himmel geschieht, entsteht dabei manchmal sogar eine Art Wohlklang, eine derart positive Schwingung mit der umgebenden Natur, dass vielleicht gar ein Juchz entfleucht. Und dazu dann gerne ein Gewürzbrot mit süssem Aufstrich, aber bitte keine Milch mit Haut.
Hitziges Bergeln
Die fast völlig ausgetrockenete Luft bildet die Konturen der bergigen Landschaft scharf ab. Alles scheint nah und fern zugleich. Eine temporäre Verharmlosung des Unbills der kommenden Wetter. Die anhaltende Seuche der Irr- und Umwege trotz Ortskenntnissen wurde direkt vom Hausberg importiert. Aufstieg dennoch in Rekordzeit, Tagesausflug gerettet – der Trainingsfleiss scheint Wirkung zu zeigen. Bewusste Trinkpausen erlauben dem Puls die Warnzone zu verlassen. Pater Michael empfiehlt anlässlich der Hitze zwei Bier. Die Alphörner schwören auf Wasser. Eine Warteschlange an der begehrten Grillierstation lässt nurmehr eine Cervelat zu. Die beim Warten dort angetroffene Ex-Wirtin vom Hotel Uri Rotstock war einst auf demselben. Wegen Schwierigkeitsgrad wurde der wunderschöne pyramidenförmige Gipfel bislang stets ausgeschlossene, sieht aber schon sehr verlockend aus. Der rüstige Holzhacker aus dem Isenthal inspiziert die Vorräte auf seinem gemächlichen Kontrollgang. Den frischen Ürner Chrütertee verspricht Knieweis auf Ende September. Passt perfekt zur Herbstklausur mit Handwerkstag.
Skywalk
Summertime
When the weather is easy
Warm, aber nicht zu warm. Dank Meteoblue keine gewittrigen Überraschungen am Scheitelpunkt und die gute Saisonvorbereitung waren Voraussetzungen für eine Testtour von Nidwalden über Uri ins Engelberger Tal. Die ersten Höhenmeter per Gondel, erstens weil Anreise. Und zweitens weil die «Zmorgegondeln» als Blickfang es wert, aber sowas von schräg sind: quasi im Loop vom Vierwaldstätter See mit der Rigi und dem Pilatus im Blick fast anderthalb Stunden lang rauf und runter fahren. Tatsächlich sassen da vor allem Pärchen drin und liessen sich Essen und Aussicht schmecken. Meine Gondel war Frühstücktischlos, doch während der Auffahrt sausten an die sechssiebenacht Liebesgondeln auf der Gegenspur vorbei. Willkommen im Heidiwitzka.
Sanfter Beginn, hinten schemenhaft die Mythen
Zmorge
Frühstück für unterwegs war vom Wandersmann in Bircher Art brav zuhause erst gebrüht, dann gerieben und schliesslich gerührt worden und spielte als Zusatztreibstoff beim Anstieg über die schwarze Piste die energetische Hauptrolle. Leider aber durften wegen der Tupperware die Grödel nicht mitkommen, was später schon noch etwas bereut wurde. Das eine Mal wo sie mit durften blieben sie aus reiner Faulheit im Rucksack, im bescheuerten Kunstschnee beim Endspurt auf die Diavolezza. Die neue Erkenntnis lautet 36 Liter Traghilfe mindestens bei Zweitagestour. Doch hinterher ist man immer schwerer.
Schwarze Piste
Auf der wandertechnisch langweiligen Piste kurz vor der Bergstation vom Skilift einen E-Biker gesprochen, der sich zwar weit rauf traute, aber kleinlaut meinte es ginge dort oben nicht weiter. «Schon peinlich» gab er zu, doch das Tagesmotto lautet Vorsicht und Langsam, was kundgetan und eine gutes Runterkommen gewünscht wurde, welches er schiebend, bremsend und quietschend alsdann in Angriff nahm. Mit dem Velo übern Pass gibts doch sonst nur im Reality-TV. Im Hochgebirge erstaunlich oft und scheinbar sogar zunehmend reichlich Naivität am Start. Ist akribische Vorbereitung etwa eine Alterserscheinung?
Rekognoszierung auch im letzten Anstieg kurz vor den vermaldeiten Schneefeldern Trumpf; die kurzen Begegnungen wurden nach dem Zustand und Gangbarkeit gefragt. Zwar ortet die Rega prima, doch solo immer Extraproblem. Dank Stockeinsatz und step-by-step gelang die zögerliche Traverse durch den nicht wirklich Vertrauen erweckenden Restschnee. Wenn schon Gipfel und ganze Berge gerne mal abrutschen warum nicht ein glitschiges Altschneefeld? Atmen, Konzentration, Augen auf und durch. Als Tipp im Fall: möglichst schnell Rückenlage mit Füssen voraus.
Mehr Restschnee als im ganzen Winter zu Züri
Hoch, aber nicht zu hoch
Oben alles prima. Der geplanten Gipfel blieb (reichlich Schneefelder!) rechts liegen. Aufgehoben ist nicht aufgeschoben meinte ich lapidar zu den Entgegenkommenden auf dem Pass, die mir wohltuend beipflichteten. Zudem hatte ich Stella ja versprochen am Stück heil retour zu kommen. Weil Montags in der Zeitung immer Nachlese in Sachen Leichtsinn. Dem ollen Schnee nach dem Pass nicht mit ganz soviel Respekt begegnet, weil Südwestseite und weniger steil. Wie bei Lawinenlage, Nord- und Osthang immer kritischer.
Eng und kurvig dann der Pfad abwärts, das Hochtal bereits in Sicht. Linkerhand wurden Holzpflöcke für die Alpweiden eingeschlagen. Dumpfes Bumm-Bumm-Bumm, das ist Senn-Kultur; Latten hochtragen auf 2000, einzäunen Meter für Meter für gerade mal drei Monate. Pflöcke und Zaun wieder raus, weil Schneelast macht alles nieder und nach neun Monaten da capo. Unglaublich wie bald jeder Quadratmeter genutzt wird (das Urner Wildheuen ist wahrlich spektakulär) klar – hochsubventionierte Alpwirtschaft, trotzdem bleibt es harte Handarbeit in steilen Hängen.
Die Vorhänge sind schön kariert, aber hätte der Wegweiser nicht mittig am Fenster ausgerichtet werden können? Immer diese Nachlässigkeiten von der Landjugend.
Etappenziel
Der stramme Max à la Alp als Vorspeise nach dem Touchdown versöhnte und belohnte reichlich. Der Ausblick aus dem Zimmer verwies auf Segen und die nächste Etappe. Omen also gut. Drum die zwei importierten Cervelats lieber eigenmächtig an der Lieblingsfeuerstelle erhitzt, als die Halbpension gemeinsam mit all den anderen Endorphin getränkten Hobbyberglern auf der Hütte. Sowieso Massenlager no-go, Einzelzelle lebt. Der Dreiklang der Menuefolge im Berggasthaus tönte ehrlicherweise schon eine Liga höher als Holzfeuer und roch sicher anders auch. Doch Wurst ist Wurst und Most ist Most, manchmal ist die subjektive Wahrnehmung als Einzelgänger einfach passender.
Saisonsegen
Anderntags nach dem Frühstück kleine Testrunde, überraschend gute Beine (sicher wegen der Urner Bergkräuter, von denen selbst Süsszeugmacher Ricola profitiert) und das Restprogramm sollte locker zu schaffen sein. Also gleich den nächsten Zaubertrunk im Beizli geordert, bevor der Segen in der Betrufkapelle empfangen wurde. Hoch oben – im Bereich der schrecklichen Schneefelder, hinterlistigen Lawinen und gewaltigen Bergstürze wirkt der gesprochene Segen ganz besonders; fast schon hyperreal und doch authentische Wirklichkeit. Zudem nett und grosszügig, dass selbst kleine Berggänger aus dem Mittelland damit bedacht werden. Glaube versetzt Berge, besonders hier und sowieso. Der aus Goa stammende Pater Michael wieder mal in Topform und bat die Gemeinde nach einem Versprecher dem Bischof nichts davon zu verraten. Und zeremoniell sind die Katholiken schon immer auf der Überholspur, da gibts nichts.
Voll gedopt vom zweiten Glas Ürner Krütertee und zeitig vor den Gewittern am Nachmittag ging es los auf die Sinsgäuer Schonegg. Im ersten leichten Anstieg noch dem neuen Senn & Betrufer viel Glück gewünscht und bald schon verstummte wieder das Gebimmel der Kuhglocken und es setzte wieder diese typische und majestätische Stille der Berge ein, in der ausser vereinzelten Vogelstimmen fast nichts zu hören ist ausser dem Summen des Windes.
Steinzeitliches Zeichen; vielleicht auch Farbrest von der Wegmarkierung
Hoch oben die Ausflügler auf dem Brisen und innerliches Kopfschütteln ob der harten Tour genau vor Jahresfrist bei bestimmt 10 Grad höheren Temperaturen. Auf der Schonegg dann nur kurzer Rück- und Ausblick, die zunehmenden Schlieren in der Atmosphäre unverkennbar und die Marschtabelle auf das Postauto leicht im Defizit. Fast im Galopp dann talwärts, vorbei am stengellosen Enzian, vorbei an der Kastenbahn, da bereits 10 Minuten gut gemacht und Beine inklusive Knie weiterhin gut. Gedanken kreisten um ein Trinksystem, spart Zeit und Kraft sieht aber affig aus. Im Tal dann aus 20 Minuten Rückstand noch 10 Minuten Vorsprung gemacht; sag nur Kräutertee (und Erdanziehung natürlich).
Jauchzer
Die euphorisierte Rückfahrt gipfelte in einem Naturjodel in der Bahnhofshalle, als ein vom Jodelfest heimkehrender Dosenbiertrinker in Tracht mir freundlich zujodelte. Wirklich nette Geste das, vielleicht wirkte ich auch wie ein wettergegerbter Naturbursche. Quasi doppelt gesegnet schaute ich bequem auf dem Sofa die abendlichen Unwetter in den Bergen dann im Regenradar an und äugte derweil schon mal voraus auf den eventuellen Saisonhöhepunkt mit dem Pass. Aber nicht als Ausweis.
Bräsige Böen beim Brisen
Countdown
Aufstehen um 4.45, Abmarsch Züri 5.30, kurz vor 8 Uhr am Startplatz eine Bahn-Station vor Engelberg/NW. Die sommerliche Herausforderung bestand im Übergang von Nidwalden nach Uri. Als erschwerendes Hindernis lag der 2400 Meter hohe Brisen zwar nicht gerade am Weg, schien aber vom Sofa aus durchaus machbar. Also zunächst sechszehnhundert hoch gefolgt vom Abstieg über ein auf 2100 gelegenes Joch, dann weiter runter auf 1600 Meter ins Hochtal. Falls Wetter oder Tagesform nicht hold sein sollten, führte die Alternativroute über ein kleineres Joch ohne Zusatzberg.
Lift off
Der Treck war taktisch und strategisch gut geplant, Swisstopo auf alle Eventualitäten programmiert und das Wetter im Startfenster mehr als günstig. Überdies stand zur Vorfreude eine Übernachtung auf Gitschenen an, damit der Alpsegen anderntags völlig zu Recht entgegengenommen werden konnte. Langsam und gemächlich der Beginn, auf dem Programm null Bergbahn heute, tutti per pedes und das geschmeidige Reinkommen im Anstieg immer vorentscheidend. Überschreiten der Weideflächen mit stets respektvollen Abstand zum massigen Rindvieh. Obschon keine Mutterkühe gesichtet wurden, war die Lage nicht immer übersichtlich. Unausweichliche Kollision in der Hochzeit von Weiden und Wandern. Daher Vermeidung allzu intensiven Augenkontakts und dafür Aktivierung sämtlicher Chakren im Hinterkopf und Rücken. Auf Nachfrage an ein lokales Wandergespann sollte der Abstieg auf der Urner Seite schneefrei sein; das wäre schön – besser keine Schneefelder im Juni! Die Auskunft gebenden haben übrigens mehr Respekt vor den Hirtenhunden der Schafherden, weil die wegen zunehmendem Wolf aggressiver abgerichtet werden. Natur pur.
Nach einer ausgiebigen Rast mit hybschen Blick auf den schneebedeckten Titlis folgte dann der Schlussgang auf dem quälend langen und steilen Zickzackweg hinauf zum Wanderhighway Haldigrat. Von links kommen recht entspannt all die vielen Gondelfahrer, die sich von Niederrickenbach hochkutschieren liessen. Von rechts die früher aufgestandenen Bergfahrer schon wieder retour. Die frischen Böen aus der Richtung Sinsgäuer Joch häuften sich, jawohl – Vorhersage von Meteo Blue lag eindeutig richtig mit der Zunahme von Wind zum Mittag hin.
Orbit Injection
Bei bereits gut 25 Grad am späten Vormittag war der Gang zum Gipfel ein schweisstreibendes Unterfangen, die Sauerstoffversorgung eingeschränkt und die Geschwindigkeit erinnerte an die letzten Meter beim Pilatus. Durch jene Erfahrung reicher war die Gewissheit der Überlegenheit von Stetigkeit über Geschwindigkeit eingepreist und wurde genau so auch umgesetzt. Fremdsprachige Wandertouristen in Turnschuhen verwunderten kaum; am Montag kann man in der Zeitung lesen, wie viel unvorsichtige Spinner im alpinen Gelände wieder ihr Leben leichtfertig riskierten und sinnlos verloren.
Energiezufuhr dank der Lektion Drachenberg geregelter als auch schon. Nach dem gnadenlosen Zickzack etwas Ernüchterung; einerseits wegen der schmierigen Fernsicht, andererseits wegen der Massen an Mensch, die sich auf dem schmalen Pfad und dennoch Rennstrecke alldieweil in die Quere kamen. Sowieso: das Ziel steht im Weg. Die Familie mit drei kleinen Kindern liess ich generös überholen, wobei die mangelnde Höhenform als schwer schnaufender Hobbybergler ehrlich eingestanden wurde. Ein junges Pärchen gab sich geschlagen, keine 200 Meter vor dem Ziel – ja, es war verdammt heiss, bereits nahe 30 Grad mittags auf über 2200 Meter! Sicher ein Vernunftentscheid, da ich der weiblichen Hälfte Unsicherheit und fehlende Trittsicherheit schon eine geraume Weile ansah und sie auch die einzigen waren, welche ich beim Kampf hinauf überholte. Schritt für Schritt weiter hoch Richtung Brisen, kurze Atempause, Geschichte wird gemacht, jetzt bloss nicht überpacen und die letzten steilen Meter dann wie zur Belohnung über verblüffend blütenreichen Fels.
Swing-by
Oben recht stürmisch und böig und das kleine Gipfelplateau gefüllt bis zu viel des Guten. Überraschend viele Insekten dort, manche labten sich am Schnee. Bringen Leute wirklich Schnee ans Gipfelkreuz? Warum so viele Insekten gerade dort? Warten die auf Futter? Bienen, Hummeln, Bremsen, Fliegen, Kleine, Grosse – alles da.
Nur ein kurzes Verschnaufen, denn das Ziel im gelobten Land lag nun immerhin in Sichtweite. Freude pur, weil so wurde der Trip zuvor ausgedacht und schön ausgemalt – GENAU SO! Also fast so, weil Malen mit Schweissperlen schon anderes als Sofa. Etwas getrübt wurde der Blick angesichts der nicht prognostizierten aber augenscheinlichen Schneefelder…
Rücksturz
Beim Abstieg eine Wanderin mit motivierendem «Ich habe Bergfieber»-T-Shirt. Yo, «Fever if you live you learn». Sie war sich des Blickfangs gewahr, wie sie auf Nachfrage direkt zugab und trug diesen nur deshalb. Links am Bruder Hoch Brisen vorbei und zu Beginn des Abstiegs galt es gleich ein Schneefeld im 45 Grad geneigten Hang zu queren. Na prima, tastend weiter direkt in den Fussstapfen der Vorgänger mit beidseitigem Stockeinsatz, Berg kurz, Tal lang. Hier abzurutschen wäre schon blöd irgendwie. Und passieren nicht die meisten Bergunfälle erst nach dem Gipfel? Zudem war die Markierung auf der Nidwalder Seite um eins zwei Klassen farbenfroher als bei den Urnern. Und tatsächlich etwas verfranst im Gelände, Kopf zu tief, doch bei guter Sicht sind solch kleine Umwege kein allzu grosses Problem. Beim Steinalper Jochli ein weiterer Wegweiser, welcher wiederum direkt in ein unberührtes Schneefeld wies. Somit war der Pfad schlicht nicht erkennbar; offensichtlich der Erste hier, der sich traute oder dessen Zielgebiet ein anderes war. Eigenmotivation und gutes Zureden im Selbstgespräch halfen die Konzentration stabil zu halten und nach einem Gang wie auf rohen Eiern (hält die Decke? Wie fallen lassen falls alles ins Rutschen kommt?) dann wieder im gerölligen Fels den Weg mehr erahnt als erkannt.
Noch etliche kleinere Schneefelder folgten auf dem serpentinenartigen Weg nach unten, machte nicht wirklich Spass und auch der Schutt war mehr als rutschig. Dazu die frischen Felsabrüche überall, die wie Geschosse auf dem Altschnee lagen, wobei man die Abdrücke und Spuren vom Ausrollen noch gut sah. Da geht was, hoffentlich nicht gerade heute und mit mir. Ein respektvoller Blick auf die überhängenden Bergwände und die Vorstellung von Steinschlag gebar ein mulmiges Gefühl rund um den Bauchnabel. Bewusstes Atmen und die fast absolute Stille taten ihre hypnotische Wirkung, noch musste das Endorphin warten. Die funkenden Neurotransmitter suggerierten im völligem Alleinsein eine unwirkliche Metasphäre inmitten der schroffen und doch so majestätischen Bergwelt. Existenzielle Fragen kamen und gingen, Tritt für Tritt.
Happy Landing
Kurz vor dem Geissboden war die Erleichterung, es bald geschafft zu haben schon ziemlich gross, das permanente Rutschen und Stolpern beim Abstieg hatte langsam ein Ende, nun da die grasbewachsenen Weiden näher kamen. Potzblitz – ein Murmeli wartete auf meine Ankunft vor seinem Bau, weil Wind von vorne günstig für Sichtung vom pfiffigen Tier. Leider kein Teleobjektiv eingepackt.
Zum Schluss war es ein nur noch ein zähes Ringen, die Dusche mega erlösend und das mehr als Volltanken vor der Dopingkontrolle dringend nötig. Die Glückshormone aber waberten. Der Gitschenen Burger nach Älplerin Art wurde vom Sauren Most begleitet und wir alle zusammen unternahmen noch ein kleines Auslaufen zur Alp im Sulztal, wo der Betrufer Beat Burch seit 30 Jahren allabendlich sein Ave in die Bergwelt ruft. Intensiv und eindrücklich der urchige Sprechakt mitten unter Rindern und Kühen. Ein aufrichtiges Mercivielmal inklusive Händeschütteln – das war ein kaum zu krönender Ausklang des Tages. Der tiefe Schlaf sollte gewiss sein, zumal das Seeing etwas bescheiden war, Sterne fast nix wegen aufziehender Schleierwolken. Auch hier lagen die Wetterpropheten von Meteo Blue wieder goldrichtig. Schad drum.
The day after
Am Sonntag dann Alpsegnung. Wasser und Salz wurden gesegnet und alle Anwesenden von Pater Michael tüchtig mit Weihwasser besprenkelt. Er benutzte etwas mehr, da es so heiss war. Die Leute haben sich gefreut und die Jodeldamen gerne noch eine Zugabe gegeben. Nett auch, dass nicht nur die Menschen, die in den Bergen leben und arbeiten, sondern alle Berggänger ins Gebet und den Segen eingeschlossen wurden – das nahm ich gerne persönlich!
Am Grillplatz Teilete mit zwei Geschwistern aus Altdorf. Für die war ich genau jener Exot, für den ich mich auch hielt. Das Glück flutete immer noch sämtliche Körperzellen und daher wurde beschlossen, den Abstieg nach St. Jakob über die Alp Bolgen zu machen, die allemal interessantere und abwechslungsreichere Version als der Fahrweg. Frisch gesegnet wartete an der Talstation noch ein Kalenderspruch für alle Wandersleut:
Schneewelten
Im kleinen Paradies Gitschenen ob Isenthal ist die Winterlandschaft beeindruckend unberührt, die Aussicht vom Urirotstock über die Schwyzer und Glarner Alpen zum Schwalmis grandios. Die Schneeschuhe zeichnen Spuren und Linien ins Geläuf aus denen im perfekten Tiefschnee geometrische Formen erscheinen und vergehen.
Da ein örtliches Krafttier den Pfad im weissen Irgendwo leicht vorspurte, wurde der bereits bekannte Rastplatz auch ohne weitere Wegweisung traumwandlerisch sicher gefunden. Doch die erfahrungsgemäss vorbildlich gepflegte Grillieranlage war leider völlig eingeschneit, genug Holz vom herbstlichen Hacken hätte es schon noch gehabt und auch die fastenbrechende Bratwurst mit Bergkräutern war vorsorglich im Rucksack verstaut. Das honorige Versprechen des mörderischen Brennholzmachers war also erfüllt, bloss der naive Unterländer verkannte wiederum die alpinen Risiken und Verwehungen.
Noch risikobereiter war ein Tourengänger aus der Golden Age Fraktion, welcher auf 2000 Richtung Brisen aufstieg, trotz beidseitig deutlich erkennbarer und relativ frisch abgegangener Schneebretter. Sein schwungvoller Freeride talwärts war beim Zuschauen allerdings schon beeindruckend. LVS, Sonde und Schaufel kommen demnächst mit ins Marschgepäck, mit diesen Zutaten könnte dann auch ein Grill problemlos lokalisiert und ausgegraben werden.
Das Jahresprogramm der Betrufkapelle hält gleich mehrere Saisonhöhepunkte parat – neben der turnusmässigen Generalversammlung noch den Alp-Segen und Bannruef. Und sicher auch ein Gedenken an den Fistbruder, der einst ganz Alpöhi das «Tor» urig erklärte und 93-jährig im letzten Sommer lebenssatt seinen Abschied nahm – Adieu Kamerad!
Berninale
Prima Klima
Der Saisonhöhepunkt in der Bernina im Engadin wurde farbenprächtig von fast schon kitschigem Kaiserwetter untermalt, für den Schönwetterwanderer natürlich ideale Startbedingungen. Der tagelang nervöse Blick auf die allmählich schmelzenden Neuschneefelder via Webcam wich vermehrt zugunsten verheissungsvoller Erregung, das Basislager war gebucht und die Aussichten optimal – Form und Material zumindest auf Augenhöhe mit der angestrebten Hochgebirgstour.
Memento Mori
Die kurze aber höhenintensive Akklimatisation beinhaltetet einen Abstecher ins Puschlav, wo in Poschiavo das Opferlicht neumodisch doch albern elektronisch gezündet wird, derweil das nahe liegende Beinhaus eindrücklich mahnte.
Nach dem Einchecken im bezaubernd gelegenen Gletscherhotel und einer kurzen abendlichen Lockerungsrunde zur Zunge des betrüblich rasch dahin schwindenden Morteratschgletschers, stieg die Nervosität nach einem feinen Nachtessen doch spürbar an und führte zu einer annähernd durchwachten Nacht; aufkommendes Lampenfieber liess die Gehirnhälften teilweise nur abwechselnd ruhen, das vegetative Nervensystem riet dem Adlerauge sei wachsam.
Letzte Ölung
Die Knie anderntags frisch geölt, die notwendige Ausrüstung verpackt und der Dresscode abschliessend geklärt kamen noch am Frühstückstisch leichte Zweifel auf, ob die Verfassung für 3000 wirklich reicht, schliesslich heisst es ja sicherheitsrelevant zurecht: der Herausforderung nicht nur gewachsen, sondern überlegen sein. Mit der Rande in der Hand wurde dann bereits etwas zuversichtlicher auf den Zubringer der Rhätischen Bahn gewartet und dabei ein interessierter Blick auf den Rucksack des anderen Frühaufbrechers geworfen, dessen uriger Eispickel dabei besonders ins Auge fiel.
Bhend/Grindelwald hiess es auf dem ins Metall eingeschlagenen Stempel und der rüstige Gletschergänger versicherte, dass dies ein amtliches Teil sei, die modernen nur Spielzeug und nichts taugten. Nun gut, etwas Folklore ist sicher inkludiert, doch ein original Bhend mit Eschenholzschaft würde stilistisch ausgezeichnet zu den geschätzten Ortler passen, da sollte selbst ein Hillary Step kaum mehr ein Hindernis sein…
Auf gehts
Der Randensaft wurde prophylaktisch während des Transports zur Talstation brav getrunken, um auch die letzten Leistungsprozente proaktiv in Bereitschaft zu versetzen. Die Vorfreude stieg immens, das Wetter so was von einladend, Vorsehung und Macht offensichtlich allesamt mit im Bunde. Der untere Teil des Weges ist im Winter der Auslauf der schwarzen Skipiste, zudem erleichtert ein holpriger Fahrweg den Aufstieg bis zum Lej da Diavolezza auf ungefähr halber Höhe. Nach dem Überschreiten der Baumgrenze dann zunehmend steil gewunden, teilweise ausgesetzt und auf der Flanke des Sass Queder angekommen der erste Wow-Effekt mit der sehnsüchtigen erwarteten und wirklich prächtigen Aussicht auf den Berninapass mit dem grossen Lago Bianco, dem mittleren Lej Nair und dem kleinen Lej Pitschen. An den Namen der Bergseen erkennt man die Sprachgrenze, die zugleich die Wasserscheide zwischen Donau und Po bildet.
Karge Rauheit
Der Pfad wurde stetig alpiner, die karge Landschaft gleichwohl intensiver und die wohltuende Stille in den Pausen der monoton summenden Seilbahn beinahe inspirierend. Als Alleingänger frisch geübt wurde das Naturspektakel einfach nur genossen. Die angekündigten ausaperten Firnfelder waren dank Petrus just zurückgewichen, die wenigen Schritte auf Eis im Bergschatten gut machbar und die Grödel verblieben im Rucksack (aber gut waren sie als Versicherung mit dabei!). Das Timing der Aufstiegszeit also wirklich perfekt, besonders da die höher steigende Sonne kräftig mit tat. Zum Glück wurde das zuerst für den Hochsommer anvisierte Unterfangen in den Frühherbst verlegt, was so bestimmt manch (italienischen) Bergfreunden elegant aus dem Weg ging.
Klar – eine Seilbahn auf zirka 3000 Meter ist ungemein verlockend, der Hobbybergler weiss das nur zu gut, seit er sich selbst vor 25 Jahren inklusive leichter Kreislaufschwäche von quasi Null auf Dreidrei zum Corvatsch katapultierte. Sauerstoffmangel gepaart mit Dummheit oder Unterschätzung der Bergwelt bei Überschätzung der eigenen Konstitution führen unweigerlich zu grotesken bis komischen Szenen auf den Aussichtsplateaus, wie sich später als Reprise auf der Diavolezza erweisen sollte.
Obacht
Unterwegs dann ein kleiner Schreckmoment, als das Donnern eines Rettungshelikopters naht, der auf der Bergstation einen kurzen Zwischenhalt einlegte, um alsbald elegant im Sturzflug wieder ins Tal zu sausen. Oha, memento dingens. Das Bewusstsein um die reale Gefahr einer Solotour in solchen Höhen kam auf und gleichzeitig erfuhr die Konzentration auf Weg und Ziel einen ordentlichen Schub. Erst später an der Talstation sollte sich herausstellen, dass ein Übungstag angesetzt war und die Crew den Ernstfall nur probte.
Gipfelsturm
Das letzte Stück war dann doch noch nervig, da die Pistenraupen bereits den Schnee für die nahende Skisaison auffuhren, welcher von den zahlreich postierten Schneekanonen vorproduziert wird. Oben angekommen fiel dann die Entscheidung für das kleinsten der drei ursprünglichen Zielobjekte. Eine kurze Überlegung war, ob nicht der 100 Meter höhere Piz Trovat bei der grandiosen Tagesform noch obendrein machbar sein könnte. Der Aufstieg lag gänzlich in der Sonne, keinerlei Eis und Schnee im Weg. Dann die nüchterne Analyse, dass das Erreichte durchaus genügen sollte.
Der erste selbst begangene 3er sollte es sein und wurde es, gepaart mit Erleichterung und Verblüffung, das Saisonziel derart mühelos geschafft zu haben. Pilatus was the Preacherman. Nach dem Gipfelfoto und Abstieg folgte auf dem Weg zum Berggasthaus die herzliche Begrüssung durchs Support-Team, angeführt von Cheerleaderin Alexandra B. Aumann (Credit for pic & movie), was dem Möchtegerntrenker wiederum etwas peinlich war.
Hatte er ja bloss den allerkleinsten aller möglichen Gipfelgiganten bezwungen, schliesslich standen da unübersehbar noch ganz andere Kategorien in der näheren Umgebung rum…
Bewegende Eiswelt
Eine Brotzeit aus dem Rucksack folgte, das Ankommen wurde nach dem zögerlichen Verdampfen des Restadrenalins dann noch richtig genossen und der Festsaal der Alpen gründlich in Augenschein genommen. Imposant die Spuren im Neuschnee gleich unterhalb des Ostgipfels vom Piz Palü, furchteinflössend das Rieseln und Poltern der Steine, die von der Sonne enteist auf den Gletscher fielen und an die Weisse Hölle von 1929 erinnerten. Deutlich die Gletscherspalten am Zusammenfluss von Palü, Pers und Morteratsch. Schön und gefährlich zugleich der Biancograd mit Bellavista und dem Berninagipfel selbst, am gefälligsten aber Agüzza; wie ein gerade herauf gekrabbeltes Insekt thront der Fels inmitten des Gruppenbilds.
Gletscherbrille
Ausgelassen die Stimmung auf der Terrasse der Bergstation, wo ausgiebig gespeist und getrunken wird. Jemand schleppte einen Cooler nebst Flasche mit in den frischen Schnee, andere entspannten leger in der Höhensonne und anscheinend soll es auch ein Jacuzzi für Übernachtungsgäste geben. Ein paar augenscheinliche Cracks frisch retour von Hoch- und Gletschertour, denen man das Können und Kennen ansah.
Manche standen und staunten, viele telefonierten, machten Fotos und zählten ehrfürchtig die Namen der eisigen Riesen auf. Ein paar wenige wiederum waren kaum gehfähig. Halt der übliche und typische Rummel auf einem Berg mit direktem Bahnanschluss. Falls aber das Gletscherbüro beim nächsten Besuch geöffnet haben sollte, wäre eine geführte Tour mit einem Original Bhend schon eine Überlegung wert. Fehlt nur noch die passende Gletscherbrille aus Pontresina.
Ortler grüsst Ortler
Beim Einstieg in die Gondel talwärts schweifte der Blick ein letztes Mal sehnsüchtig in die weite Ferne, und – wie sich erst später mittels Triangulation bestätigen sollte – fiel der Blick des Hobbysportlers geradewegs auf die Ortlergruppe, welche weiss bedeckt mit ihrer 3900 Meter hohen Spitze aus dem braungrauen Allerlei kontrastreich im nicht allzu fernen Südosten heraus stach. Auf Original Ortler den echten Ortler zu erspähen, das war ein passendes Finale für jenen abenteuerlichen Tag!
Epilog
Ausser dem Pfiff eines Murmeltieres und den bettelnden Alpendohlen war nichts tierisch erwähnenswertes unterwegs, dies sollte sich erst am Folgetag beim Auslaufen ändern, als eine Kreuzotter sich wohlig im Gras sonnte. Den Abschluss bildete ein Besuch auf der Chünetta, wo ein von englischen Gästen im Gedenken errichtetes Steinsofa (!) bequem den Blick auf Gletscher und Bergwelt erleichtert. Allegra!
Von Pontius zum Pilatus
Der ehrgeizige Plan über 1700 Meter aufwärts als Solist aufzutreten entsprang einem vermeintlichen Besserwetterloch. Wetter immer matchentscheidend im alpinen Gelände und dazu kam die drängende Dringlichkeit eines wirklichen Belastungstests, bevor es auf ganz andere Gefilde gehen konnte.
Um die vertrödelte Zeit (verpasster Zug, falscher Bus) wieder aufzuholen, wurde die Sache etwas zu überhastet angegangen. Dabei hätte jene gut 30-köpfige Kindergartengruppe im Zug, deren Reservierung schief ging und die daher im Mittelgang des Waggons tapfer und stoisch, aber voller Vorfreude auf den Ausflug ins Planetarium die gesamte Fahrt über wankend aber stehend verbrachten, beispielgebend sein sollen.
Wer schnell sein will, muss langsam werden
Zu Beginn gelang es überraschend zügig eine halbe Stunde aufzuholen, doch sollte der Einbruch unweigerlich folgen. Die ersten 900 Höhenmeter waren eher leichtes Terrain und verteilten sich auf gut sieben Kilometern. Allerdings setzte die nach den Regengüssen der vergangenen Tage hoch gesättigte Luftfeuchtigkeit dem Hobbysteiger rasch zu und die Transpirationautomatik der Funktionswäsche lief permanent auf Hochtouren. Fixiert auf das mögliche Tagesziel in akzeptabler Zeit sowie der kurzzeitige Zusammenschluss mit einer interrailenden Studentin aus dem Ruhrgebiet führten dazu, dass alle antrainierten Vorsichtsmassnahmen leichtfertig ausser Acht gelassen wurden. Spürbar dehydriert, leicht unterzuckert und offenkundig in keiner bestechenden Tagesform wurde viel zu spät auf eindeutige Körpersignale geachtet, zu spät wurde gerastet, getrunken und der Puls wieder auf Normal reguliert. Ein Bergab sausender E-Biker prophezeite einen Wolkenaufriss innert 30 Minuten – ganze drei Stunden sollte es noch dauern, bis die Sonne zumindest ein wenig vom Hochnebel weg schleckte.
Tempowechsel
Mit knapper werdender Kraft wurde das erste Etappenziel auf schlappen 1500 Metern erreicht und nach dem Adieu mit der Zufallsbekanntschaft nun ein adäquates Tempo nach ureigenem Rhythmus angeschlagen. Geht doch. Direktnach der Querung einer lehmig-seifigen Alp ging es dann in den ersten serpentinenartigen Anstieg im Felsmassiv. Trotz ausbleibender Sicht waren Wasserfall und rascher Höhengewinn verlockend, als jedoch die Nebelschwaden allmählich den Ausguck auf nur noch 20 Meter runter dimmten wurde klar, dass Rast und Ruhe dringend nötig waren, zumal eine Umkehr bei weiterer Verschlechterung noch immer möglich war. Im Berg dann eher nicht. Der Gedanke vom schnaubenden Drachen kam und ging schnell. Ein junger blonder Held in Turnschuhen zog vorbei, zwei vorlaute Deutsche immerhin in Wanderschuhen wenig später. Egal, die längst fällige Regeneration mit Weintrauben und Bouillon war unabdinglich und versprach die erforderliche Auffrischung der Kraftreserven, denn ab jetzt nur noch steil. Das Innehalten mit Zwiesprache war zugleich eine Konzentrationsübung für das nun kommende anspruchsvolle Terrain.
Kehren und Wenden ohne Ende
Der Aufstieg dann teilweise mit Ketten gesichert, die Furten und Wasserfälle sind problemlos, doch aufgrund der talwärts strömenden Wassermassen zumindest heikel. Hinzu kommt, dass der permanente Nebel alles übrige sowieso mit einem feuchten Film überzog. Teilweise haben die Wegbereiter eiserne Stufen ins Gestein geschraubt, teils mit Knüppeln abgesicherte Stufen geschlagen. Jedenfalls Hochachtung für die vielen Putzer, die jeweils am dritten Wochenende im Juni den Pfad begehen, kontrollieren, von Altschnee befreien und falls nötig ausbessern. Einige verewigen sich mit Namensschildern nebst Baujahr, wobei manche der Namen einen fast den gesamten Aufstieg hinweg begleiten. An ein paar Stellen ging es nur mit Klettern auf allen Vieren, Stockeinsatz bei den vielen grossen Tritten äusserst hilfreich. Einmal wurde der Schuh aufgrund einer etwas unrunden Bewegung zwischen zwei Felsblöcken eingeklemmt, zum Glück federte der volllederne Ortler derart Missgeschick gekonnt ab, kaum Wirkung im Fuss selbst. Überhaupt war neben der gebotenen Trittsicherheit (Schwindelfrei war heute abgesagt, zu trüb und milchig die Abgründe) der Bergschuh essentiell – ohne Profilsohle mit Grip geht hier gar nichts (ausser Jungsiegfried in Turnschuhen).
Der Aufstieg wollte kein Ende nehmen, noch ne Kehre, noch eine Sicherungskette an ausgesetzter Stelle. Plötzlich frische Erde auf dem Pfad, Blick nach oben und Oha!, überhängender Fels, unübersehbar erst jüngst gefallenes Gestein direkt auf dem Weg. Abwechselnd den Blick vor Furcht hoch und auf den Steig gerichtet, in der stillen Hoffnung, eventuellen Steinschlag durch Reaktionsschnelle wettzumachen wurde die Gefahrenstelle zügig durchgangen. Danach wartete wieder eine in den Fels gehauene und endlos erscheinende (schlechte Sicht!) treppenförmig gewundene Schlüsselstelle. Zwei weitere Wandersleute überholten und lieber wurde etwas abseits der direkten Falllinie einen Moment lang ausgeharrt, nicht dass es durch einen womöglich oben ausgelösten Brocken just nach der heil überstandenen Gefahrenstelle doch noch zum Bingo käme.
Die Tierwelt hielt sich analog zum Wetter weiterhin schön bedeckt, nur Losung vom Steinwild war wiederholt zu erkennen. Das wiederkehrende Pochen der Halsschlagader aufmerksam verfolgend, wurde der Puls auf Stöcke gestützt im Stehen reguliert. Stop-and-Go, gut war wenig Betrieb auf der Piste. Beim Überschreiten der Baumgrenze kam die Frage auf, wieso der Pfad eigentlich Heitertannliweg genannt wird.
Lichtblick
Der letzte Fruchtriegel tat seinen bitter nötigen Dienst und endlich etwas mehr Licht, noch trüb zwar, doch heller Schein lies vermuten, dass die Bergflanke nun tatsächlich durchstiegen war. Nineteenhundred down, twohundredfifty to go. Ohne bislang je das Ziel auf dem beschwerlichen Weg erkennen zu können, gab die schiere Ahnung weiteren Auftrieb. Die Zuversicht kehrte zurück, der Fruchtzucker zündete und der vorletzte Schluck aus der Pulle war reiner Treibstoff.
Und dann riss es auf: zweihundert Meter unterhalb der zahlreichen Gipfel vom Pilatusmassiv traten Tomlishorn, Esel, Oberhaupt und wie sie alle heissen sonnenbeschienen und geradezu unwirklich wuchtig derart scharf gezeichnet ins Rampenlicht, als würde ein Vorhang mit einem Vergrösserungsglas getauscht – ein doppeltes Wunder der Natur. Ein zwar nur kurz währendes Spektakel, aber in seiner momentanen Eindrücklichkeit fast unbeschreiblich. Respekt und Vorfreude, der letzte Anstieg im zerkarsteten Schrattenkalk steinhart jedoch trocken und bedächtigen Schrittes zog der Gebirgsmagnet den sich wie in Trance befindlichen Hobbybergler durch die letzten Kehren nach oben. Jungsiegfried kam derweil von dort im zügigen Turnschuhschritt mit einem aufmunternden «Sali!» entgegen. Vermutlich hatte er den Drachen besiegt, da der Nebel zunehmend lichter wurde.
Tohuwabohu
Dann der Aufstieg durchs Chriesiloch, ursprünglich ein natürlicher Kamin. Oben hallten amerikanische Stimmen, «Where does this way lead to, lets find out!», ein finaler Zwischenspurt, um einer drohenden Kollision auf der Eisentreppe zu entgehen, eine ungläubige Frage: «Did you come up all the way?» gefolgt vom freundlichen «Welcome!» und der nun in Sicht kommende babylonische Touristenpfuhl auf Pilatus Kulm erschien als reinster Postkartenkitsch mitsamt tutender Alphörner als Icing.
Der Dank an die eifrigen Bläser für die tolle Begrüssung wurde artig überbracht, gefolgt von einem breiten Grinsen aufgrund des kuriosen Emblems – da blies leibhaftig ein stämmiger Baggerfahrer ins Horn!
Gewiss, nach Burkaverbot, Covid, Masken- bzw. Zertifikatspflicht war die Lage oben bestimmt noch harmlos, eingedenk der Anekdote, als der Hobbyhiker noch vor wenigen Jahren verblüfft staunte, dass Downtown Luzern die Beschriftungen der Ladengeschäfte neben Englisch teils auch auf Chinesisch und Arabisch angebracht waren.
Unweigerlich schüttelte der ehrliche Aufsteiger dennoch innerlich den Kopf, angesichts der nervös staksenden Menge dort oben, manche ihren Schosshund auf Armen tragend, andere verzweifelt ihre Kinder zähmend und allesamt innerhalb einer halben Stunde mit Zahnrad- oder Drahtseilbahn nach oben verbracht, um im Bratwurstduft die heute nicht existierende Aussicht leicht desorientiert trotzdem zu suchen.
2118
Oberhaupt und Esel wurden beide direkt vor Ort bezwungen, danach rasch das Ticket für die Talfahrt gelöst und dank eines widerspenstigen Kinderwageninsassen fuhr die Gondel den Einzelgänger im Solo durch die Wolken ins wärmende und lichtdurchflutete Tal mit der frisch gewonnen Einsicht, dass in und über den Wolken Freiheit wohl Grenzen hat.
Tschingeling
Die Tschingelhörner erfreuen den Hobbywanderer jedes Mal aufs Neue – ist es eine verwunschene Burg mit offenem Burgtor? Das Tor selbst, hier ob Elm Martinsloch genannt, ist aus dem Spiel jetzt. Definitiv. Schwierigkeit T5 ist ein Gang zu hoch und Helmpflicht ist nicht. Näher ran ans Loch kommen dann die Schutt- und Geröllhalden gut in Sicht, eher schreckhaft noch als der frühe Firn, da heisst es einen Schritt vor, zwei zurück. Ob das über 2000 lange gut geht?
pic: Wadenalex
Der Segnapass gleich links vom Loch scheint dagegen durchaus machbar, doch die Tour heuer war sowieso eher Testlauf in Sachen Equipment und Rucksackvolumen. Der Saisonhöhepunkt rückt schnell näher, und die Schuhwahl fiel im Vorfeld schon schwer genug. Ein wenig Wetterhexen wäre noch prima, selbiges Kaiserwetter in der Bernina ein Traum natürlich.
Wolf und Terror
Tschinglen wie immer märchenhaft, wie immer bei Schönwetter und die Schlucht sowohl zu Fuss wie mit Seilbahn ähnlich beeindruckend. Gämsen hatten sich diesmal allesamt gut versteckt und selbst die Murmelis hatten wohl Angst vorm bösen Wolf, der vis-à-vis tüchtig Schafe und Ziegen blutig beisst, wie auf einem Eingeborenenhandy grausam schön dokumentiert zu sehen war. Statt dem Adler Bräu floss ein Hütten-Kaffi in den Schlund und der war wohl gemixt und angerichtet, so dass die Lust aufs Loch alsbald wieder hoch kam inklusive intensivem Fernglasfernträumen.
Hatten nicht die einstigen Berggänger sich jeweils Mut angetrunken bevor es los ging?
Zuhause dann, beim Sondieren der Berichte all der T5/T6-Cracks, war es schon etwas ernüchternd von den «Schutthängen des Terrors» zu lesen. Also Loch besser von Weit als von Nah, lieber Heil als Drama. Damit das Znacht beim Bergführer in Elm weiterhin fein munden tut.
In fremder Ferne
Schuhtest
Selbst auf der ausgewiesenen Lowa-Teststrecke macht der Meindl eine ausgesprochen gute Figur. Nachdem der billige Landrover seine Schuldigkeit getan hat, ist der eingelaufene Ortler die dann doch bessere Wahl, v. a. was Halt und Standfestigkeit in rutschigen Auf- und Abwärts-Passagen betrifft. Fels und Stein haben gegen die zwiegenähte Sohle ohnehin keine Chance.
Der Schwarzwaldsteig beginnt gemächlich am Namen gebenden Fluss des Tales, der Rench, steigert sich dann rauf bis zum Ibacher Schliff, einem gewaltigen roten Buntsandsteinsturz, dem man beim Fallen fast zusehen kann. Freiliegende Baumwurzeln und ausgewaschene Regenrinnen deuten auf die permanente Veränderlichkeit hin. Im Winter und bei Starkregen ist dieser beeindruckende Weg nicht gangbar, viel zu schlüpfrig und eng ist der teilweise stark abfallende Saumpfad, selbst die lokale Gemeinde warnt und weist auf die Gefahr auf jenem Wegstück hin.
Schnapsbrunnen
Vorbei an Brunnen mit und ohne Schnaps, erfrischenden Raststätten mit und ohne Bedienung ist der Weg zum Braunberg von allerlei Braunbären gesäumt. Die inflationären Holzherzen fehlen nie, und so steht die Inschrift am Urbankreuz im eigentühmlichen Kontrast zu der pittoresken Gestaltung des Wanderweges. Wobei der Kitsch bei den allgegenwärtigen Herzen nur oberflächlich erscheint, da auf die Herzlichkeit in der Naturparkregion tatsächlich und spürbar viel Wert gelegt wird. Sägekunst ist im Schwarzwald sowieso immanent, gut erkennbar an der markenbewussten Gestaltung einer Bank mitten im Wald, die der heiligen Motorsäge gewidmet ist. Eifrige Wanderkollegen huldigen derweil den Steinmännfrauchen, welche mancherorts frei nach dem Klump-Prinzip geradezu massenhaft auftreten.
Eierschwämme
Bei gutem Wanderwetter nach einer leichten Regennacht war das Geläuf perfekt, um die 500 Höhenmeter auf 12 Kilometern quasi federnd zu bewältigen. Der zweite Satz der Wandersinfonie ist ebenfalls durchaus empfehlenswert, ganz so wie der Blutzwurz am Schnaps-Brunnen Bollenbach, an dem der sich Urlaub erlaubende Hobbywanderer labte. Als Bonus gab es obendrauf noch erntefrische Pfifferlinge direkt aus dem Wald, die die nette Seele der Herberge pünktlich zum Feierabend aus ihrem Sammelkorb offerierte.
Sollten es aber keine Pfifferlinge gewesen sein, so sehen wir uns halt droben wieder…
«So ruh denn aus in fremder Ferne, bis droben wir uns wiedersehn.»
Himmelssteig
Den Auftakt zur dreisätzigen Schwarzwälder Wandersinfonie bildete der Himmelssteig, ein ausführlich beschildeter Weg durch das Schwarzwälder Mittelgebirge, welcher zur «Premium-Wanderung» einlädt. Verlaufen kann man sich nicht, falls doch landet man auf dem Paradies-Steig und der führt ebenfalls in den Himmel. Überdies sind Kilometerangaben samt SOS-Tafeln installiert. Sehr abwechslungsreiches Gelände, stets rauf und runter. Gras, Wurzel, Waldwege, Stein mit kurzen Abschnitten auf Asphalt. Insgesamt sind 11 Kilometer zu bewältigen, was anstatt der vorgeschriebenen fünf Stunden auch gut in deren drei geht. Trittsicherheit an manchen ausgesetzten Stellen unerlässlich, Erfahrungen im Fels helfen. Es gibt diverse Einkehrmöglichkeiten, einladende ambulante Selbstverpflegungsstationen. Zwei schnell schwätzende Schwäbinnen kochten sich gar ihr Süppchen auf dem Paradiesfelsen, entweder mit Spiritus- oder Gasbetrieb, jedenfalls ging es beim rasenden Wortwechsel ums Für und Wider und wo man den dafür notwendigen Treibstoff erhalten könne. Das verbale Gemetzel verkürzte leider den Aufenthalt, was wiederum der akzeptablen Endzeit zugute kam. Ein anderer Wandersmann kam unumwunden gleich aufs Thema Bier und sprach von der Notwenigkeit, die unweit gelegene Familienbrauerei Bauhöfer zu besuchen, deren Braumeisterin Deutschlands derzeit Jüngste und Interessanteste sei. Testmaterial ist vorsorglich eingelagert. Es gibt an Bäumen angebrachte Abrisszettel und Steinteller, von denen sich die wandernde Leute das nehmen sollen, was sie brauchen. Klar – im Himmel ist die Spiritualität zuhause quasi. Auf dem Survival-Trainingsplatz gleich bei der Gruppen-Unterkunft Palmspring (Jugend aus Dorsten) üben Stadtindianer das Preppern. Interessant auch, wie manche Weisstannen mit moosgrünen Matten bedeckt werden, welche erst bei der genauen Inspizierung sich als ganz und gar nicht natürlich entpuppten. Als wilde Tiere waren diesmal ein Adler, ein Fliegenpilz und ein Horrorkäfer inklusive. Zum Work-out besuchte der hobbywandernde Urlauber noch den Atletik-Club Oppenau, um die Muskeln noch etwas im Bankdrücken zu üben, bevor der Wandertag beim süffigen Alpirbacher mit einer Grillade und etlichen Früh-Perseiden zünftig ausklang.
Exposition
Art en plein Air in Môtiers/NE öffnete mit einem Jahr Verspätung wieder mal ihre Pforten. Alle vier bis fünf Jahren werden in der Schweiz lebende Kunstschaffende eingeladen, ihre Werke in dieser Freilichtausstellung zu präsentieren und platzieren. Ausgehend vom Dorfkern verläuft der Kunstpfad entlang quirliger Bäche, durch Dickicht und Wald, einem imponierenden Wasserfall entlang hinauf zu einer Lichtung nebst Buvette, wo ein- und umgekehrt wird und der Kunstspaziergang dann wieder talwärts zum pittoresken Dorf führt, in dem einst Aufklärer Jean-Jaques Rousseau Zuflucht fand.
(pics by andrea & andi ´21)
Die Kunst selbst ist teils witzig bis dadaesque, dann wieder formal streng oder versucht mit der sie umgebenden Natur zu korrespondieren. Längs gespaltenen Bäume, Karambolage mit Ölfässern, Quadratur mit Kreisen, knallrote Statuen, ein Mobile aus Röhren taumelt im Wind, eine Holzhütte mit bunter Aussicht und die Fassade eines Western-Saloons laden ein zu Betrachtung, Entdeckung und Irritation. Der sehr empfehlenswerte Rundgang führt durch einen hübschen Teil des bezaubernden Feenlands im Val de Travers, wo der Duft vom Echten Wermut homöopathisch die Luft aromatisiert und dessen Destillat an fast jeder Ecke zu einem Rendezvous einlädt.
Kriechspur
Auf den gut 2000 Höhenmetern des Oberengadiner Seitentals Val Bernina wird für den Unterländer Hobbyausflügler die Luft bereits etwas dünn. Bunte Farben flirren wie wild über den Schneeteppich und es scheint, als wäre die gleissende Sonne eine transzendente Discokugel. Die monotone Konzentration auf Schritt und Tritt wirkt fast meditativ. Geh-Rhythmus und Atem-Tempo üben ein inniges Duett, welches bei den kurzen Anstiegen aus einem gemächlichen Largo in ein wildes Allegro auszubrechen droht, bevor ein obskures Metronom am Wegrand an das Adagio erinnert und letztlich sich alles in einem endorphingesättigten Lento karthatisch prima auflöst.
Langsamverkehr-Netz Bündnerland
Nadelwald
Tschingelhörner
Damit der Besuch aus der grossen Stadt einen nahalpinen Eindruck mit nimmt, führt die Tour ins Glarnerland, ob Elm. Am Zürcher HB scheinen alle die gleiche Idee zu haben, Sonntagsausflug bei bestem Wanderwetter. Der Zug ist rappellvoll, die Leute aber meist durch die Bank gut drauf. Vorfreude ist doch die beste Freude. Kurz vor dem Ausflugsziel ein pittoresker Feldgottesdienst mit Alphörnern, nette Beigabe fürs Busfensterln. Am eigentlichen Zielort dann das übliche kindliche Lamento, Berg so gross und ich bin klein, doch die Schlange an der Seilbahn ist schlichtweg zu lang – pro Kabine 4 Personen, bei zwei Gondeln und 23 Wartenden macht das ungefähr Gondel Nummer 6, dies mal 15 Minuten gleich eine und eine halbe Stunde Wartezeit – NEIN.
Also wird verhandelt, zugeredet, gelockt, gestreichelt und gedrängt. Uffe gohts. Der zu Besuch weilende Naturbursche mit Sportlerwaden und Pferdelunge kriegt nach kurzer Zwischenrast keine Zeitvorgabe und darf solo durchstarten, Vater und Kind trödeln (wie auf Schweizer Verkehrsschildern immer noch sichtbar) Hand in Hand gemeinsam bergan hinein in die Tschinglenschlucht. In den freien Händen dann wahlweise Trekkingstöcke und Steine. Aussichten, Geschichten, Versprechungen, Wünsche und Träume lenken ab.
Die voralpine Flora und Fauna hilft zudem sehr, den Aufstieg halbwegs kindgerecht zu gestalten. Am Wegrand eine tote Waldspitzmaus, an der Nacktschnecken nagen, dort eine schwarze Hygromia cinctella, seltenen Sache, Kind wusste sofort Bescheid. Hier ein türkiser Falter, da ein feuerroter Flieger und nebenan ein interessanter Hornkäfer. Dann immer wieder die imposanten Felsstürze, die für die Einheimischen gar nicht glimpflich verliefen: allein der Elmer Bergsturz verursachte über 100 Tote! Über Schieferschutt und kleine Wasserläufe darf das Kind voran, Eisenketten sichern den Weg an kniffligen Stellen und an der Felswand sind Hinweistafeln verankert, die einem bewusst machen, dass das worauf man gerade geht, sich früher in einem Ur-Meer befand. Die tektonischen Platten von Europa und Afrika rieben sich und richteten vor 50 Millionen Jahren die Alpen auf, der fossile Glarner Hasenfisch zeugt davon. Das Kind füllt sich die Taschen mit kleinen Schieferplättchen, die dank allerlei Einschlüssen bunt in der Sonne funkeln.
Die elterliche Sorge vor einem Sturz in die Schlucht liess nie nach, war wohl besser so, denn es geht mächtig steil in die tosende Schlucht, wo grosse Wasserfälle den Tschinglenbach füllen. Endlich oben sitzen die gerade noch unten an der Station wartenden Glarner Hemdenträger bereits in der Alpwirtschaft, heute wird also zünftige Musik gegeben. Das Kind bekommt die versprochene Elmer Citro, der Vater auch und die Suche nach dem vorausgeeilten Besuch erfolgt. Handyempfang dürftig bis null, kein Empfang. Als wir den Besucher schon in der Schlucht wähnten, Handy nicht im Netz registriert – taucht der verschollen geglaubte Berggänger plötzlich wieder leibhaftig auf. Das Jodlerduo wechselt sich munter mit einem Schwyzerörgeli nebst Tuba ab, die Terasse ist voll besetzt, die Menschen glücklich und der Jochen aus Berlin zufrieden.
Er darf natürlich ein zweites Adler nehmen, und da seinem Urteil nach sowieso kein Alkohol in dem Glarner Biere sei, auch wieder alleine bergab schluchten. Der Vater mit dem Kind verkürzt derweil die Wartezeit auf die talwärts schwebende Gondel mit dem Blick auf eine wiederkäuende Gämse, welche mitten im Fels ruht. Das nächste Mal unbedingt das eigene Fernglas mitnehmen! Noch ein kurzer Blick zurück auf die Tschinglenhörner, die sich fast Wald-Disney-haft auf dem Segnamassiv türmen, dann heisst es Abschied nehmen von einer kleinen und dennoch formidablen Bergtour. Mit beinahe keinen Verletzten pünktlich retour, welcher Bergführer kann das schon von sich behaupten…
Beim Besteigen der Gondel haut sich der Hobbyschweizer dann doch noch seinen Dickschädel mächtig an die Kabine inklusive Sound und Sterne, typisch Flachländler halt. Beim Flug durch die Schlucht wird der Kopf langsam wieder klar, der talwärts rasende Schatten der Kabinengondel sorgt für Mikrofinsternisse auf dem Wanderweg. Unten wird es eine Punktlandung dann — der tosende Besucher trifft zeitgleich mit dem Bierbär an der Talstation ein. Exaktheit ist ein gutes Schweizer Mass.
Beim nächsten Mal ist dann endlich der Segna-Pass fällig, ick schwör.