What is love?

Der Spielfilm «Drii Winter» wurde in den Urner Bergen im Isental gedreht und weil der Regisseur ausschliesslich Laiendarsteller aus der Gegend einsetzt, wird die archaische Bergwelt und das Leben dort quasi ungekünstelt und direkt umgesetzt. Die tragische Liebesgeschichte wird episodenhaft von einem an antike Schauspiele erinnernden Chor gerahmt. Dieses im Folklore-Outfit auftretende Vokalensemble intoniert auf schönstem Schwyzerdütsch tieftraurige Lieder bis hin zur Todessehnsucht vor einem landschaftlich zwar immer pittoresken, aufgrund von Schneegriesel, fallendem Regen und nackten Fels gleichwohl zunehmend Kälte vermittelnden Hintergrund. Eleganter Kunstgriff, Respekt.

Besamung

Oh baby, don′t hurt me

Eine Erkrankung lässt die Handlungen des zugezogenen Knechts vermehrt unberechenbar und gefährlich werden, so dass dieser aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen wird. Sowieso gehört man üblicherweise erst zum Dorf, wenn man drei Winter (!) zusammen verbracht hat. Erst dann ist man akzeptiert. Durch den wiederholten Einspieler des Euro-House-Megahits «What is love?» von 1993 wird das Mundartliche gleichsam gebrochen wie die kritische Frage nach der Belastbarkeit von Liebe gestellt. Es ist verblüffend zu sehen, wie die Laienschar selbst heikle Szenen souverän meistern. Der Regisseur muss sich im Vor- und Verlauf viel Vertrauen erarbeitet haben, sicherlich begünstigt durch die bekanntlich eher offene und zugewandte Art der Ürner.

Don′t hurt me no more

Ein bei aller Schlichtheit ziemlich tiefgründiger Film, der ausgesprochen gut zur kargen Landschaft passt. Persönlich eindrücklich, da bekannte Gesichter auftauchen; besonders rührend ein Kurzauftritt vom Gitschener Ureinwohner Sepp, in gewisser Weise eine Art filmischer Unsterblichkeit. Ohnedies drängte sich die eine oder andere Träne in die Augen – doch das muss dramaturgische Absicht (Drii, Falschbeschuldigung, Fenster für Seele öffnen) gewesen sein. Ein Film als wahres Goldstück.

Goldige Versuchung

186 Kilo pures Gold waren für 14 Stunden unter freiem Himmel in Zürich zu bewundern. Ein kniehoher 12-Millionen-Franken-Würfel lockte Flaneure, Neugierige und FOMOs an: Schnappschüsse, Selfies, betatscht, beäugt, geteilt und manch einer wollte sich sogar draufsetzen. Aber vier Seiten vier Wachen wie bei toter Queen und Securitas versteht keinen Spass. Der Künstler Niclas Castello sagte mir bislang nichts und das achteckige goldene Kalb wollte mir auch nichts sagen. Dass das etwas vulgäre Werk von der Glockengiesserei Rüetschi gefertigt wurde, amüsierte immerhin.

«Fühlt sich an wie Plastik!» entfuhr es einer Kundin, «Aber schön warm!» entgegnete ein anderer. Dem kindischen Begrapschen widerstand ich aufgrund der offensichtlich akuten Ansteckungsgefahr vom legendären Goldfieber tapfer und wiegte derweil beim Abschied meine Gedanken leicht versonnen im Takt von good old Goethe…

Was hilft Euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,
Allein man lässts auch alles seyn;
Man lobt Euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles. Ach, wir Armen!

(Margarete in Faust I)

Frevel, Es, Bann und goldener Ring

Alpsegen und Betruf

Zwar ist auch in Uri seit einigen Jahren der Einfluss der katholischen Kirche stark zurück gegangen, doch einzelne christliche Riten und Gebräuche werden weiterhin gepflegt. So werden heute noch auf den meisten Urner Alpen kurz nach Alpaufzug die Älpler mit ihren Familien, die Weiden, das Vieh und die Gebäude von einem Priester gesegnet und unter den Machtschutz Gottes gestellt. Weiterhin zur liebevoll gepflegten Tradition gehört der Betruf. Jeden Abend ruft ein Älpler – neuerdings gelegentlich auch eine Älplerin – den einstimmigen Sprechgesang in einem mundartlich gefärbten Hochdeutsch durch die Volle, einen hölzernen Milchtrichter. Text und Melodie sind von Alp zu Alp verschieden. Der Älpler bittet jeweils Gott, Jesus, den Heiligen Geist, die Gottesmutter Maria und ausgewählte Heilige wie die Bauernheiligen Antonius, Wendelin und Bruder Klaus um den Schutz für alle Lebewesen auf der Alp. Der Betruf muss von einer Anhöhe aus möglichst laut gesungen werden. So weit die Stimme des Älplers reicht, soll auch der Schutzbann gelten.

Der goldene Ring über Uri

1941 erschien in Uri ein 330-seitiges Buch, das zwar zu den berühmtesten Schriften über Uri gehört, das aber wohl von den wenigsten von Anfang bis Ende gelesen wird. Es handelt vom Magischen und Animistischen im Erleben und Denken der Urner Bevölkerung. Das Buch trägt den Titel «Goldener Ring über Uri», verfasst vom Arzt und Volkskundler Eduard Renner (1891–1952). In einer poetisch verdichteten Sprache beschreibt Renner ein Weltbild, das weit in die Vorzeit zurückreicht und sich über Jahrhunderte zum Teil bis in die heutigen Tage gehalten hat. Der Kernpunkt dieses – nach Renner magischen – Weltbilds ist die Überzeugung, dass nichts festgefügt ist. Alles kann sich unerwartet verändern, auseinander fallen und sich in neuer Gestalt wieder zeigen. Steinschlag, Bergsturz oder Lawinen können über Nacht saftige Alpweiden in Steinwüsten verwandeln. Ein sicher geglaubter Strahlenfund kann sich anderntags in Nichts aufgelöst haben. Und der erlegte Gämsbock entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Frauenrock. Doch es sind nicht unfassbare Dämonen, die Ding und Welt immer wieder tückisch verändern. Dies zu glauben, verbietet dem strenggläubigen Urner die katholische Kirche. Es ist ein namen- und formloses «Es», worin sich all dieses Unsichere und Unfassbare verdichtet. Frevelt der Mensch, indem er Brauch und Ordnung verletzt, gewinnt dieses «Es» Macht über ihn. Nur indem er die Dinge so nimmt, wie sie sind, sie sorgfältig bewahrt, nicht verändert und sich streng an Herkommen und Brauchtum hält, kann er der Haltlosigkeit seiner Umwelt Einhalt gebieten. Um dies zu erreichen, muss er selbst Haltung bewahren, sich nichts anmerken lassen – im viel gerühmten urnerischen «Nyt derglychä tüä» verharren. Zu Hilfe kommt ihm dabei der Bann, der im Gegensatz zur Zauberei ausdrücklich erlaubt, ja geradezu geboten ist. Nur indem der Mensch um sich einen Bannkreis, einen Ring, zieht, kann er diese unstete Welt festigen. Aus diesem Grund versammelten sich die Bürger auch in einem Ring zur Landsgemeinde. Seinen wohl grossartigsten Ausdruck findet dieser Ringgedanke im Betruf, mit dem der Älpler eine Art Schutzwall um Herde, Hütte und Weide aufrichtet und alles Unheil bannt, so weit seine Stimme reicht.

© http://www.brauchtum-uri.ch/

Babylon 911

Benjamin Dubno, Chefarzt der Integrierten Psychiatrie Winterthur, diagnostiziert:

Ich glaube, für viele Menschen haben Verschwörungs­theorien eine  Funktion. Und sie funktionieren eigentlich mit ihr fast besser als ohne. Deshalb ist eine reine Pathologisierung schwierig. Die Leute leiden eigentlich an der Realität, aber durch das Konstrukt leiden sie weniger.

(zitiert aus: REPUBLIK Eyes Wide Shut – Folge 6)

Kunstlinge

An extraterrestrial Arty-Farty-Party

Le Voyage dans la Lune (1902)

Als erstes «offizielle» Kunstwerk auf dem Mond wird das Werk von Sacha Jafri deklariert, welches zum Ende des Jahres auf dem Mond platziert werden soll. «We Rise Together – with the Light of the Moon» ist eine güldene Plakette, welche als digitale Kopie in Form von NTFs auch auf der Erde versilbert werden soll.

Die erste künstlerische Hinterlassenschaft auf dem Erdtrabanten bleibt jedoch Paul van Hoeydoncks «Fallen Astronaut», welche 1971 in Gedenken an die tödlich verunglückten Opfer der Raumfahrt durch die Apollo-15 Mission auf dem Mondboden installiert wurde. Und sogar noch etwas früher, nämlich zur zweiten Mondlandung im November 1969 soll bereits das erste «Dick Pic» den Mond besucht haben.

Die spinnen, diese Erdlinge!

Die Hölle, das sind die anderen!

L’enfer, c’est les autres oder Die Hölle, das sind die anderen beruht auf der Philosophie Sartres, dass wenn man einzig wäre, quasi nur existiert und keine Essenz gebildet hat, es kein Falsch oder Richtig gäbe, da man nur selbst als Befrager auftritt. Für das Ichgefühl und die Identität scheint alles im Reinen, doch was, wenn man Erfahrungen sammelt und beginnt Dinge zu tun, die von den Anderen als Falsch und Richtig reflektiert werden? Die Selbstzweifel wachsen und mehren sich, da die widersprüchliche eigene Existenz nun eine Essenz ausbildet und das Ich so dauerhaft in der Kritik steht.

Der Satz «Die Hölle, das sind die anderen» stammt aus dem nach der Befreiung 1944 in Paris uraufgeführten Theaterstück «Geschlossene Gesellschaft» von Jean-Paul Sartre, der darin auch seine Eindrücke als Kriegsgefangener verarbeitet. Sartre zeigt drei in einem Raum eingeschlossene Menschen, die bereits verstorben sich auf ewig nicht entkommen können und gegenseitig das Leben zur Hölle machen. Die Grausamkeiten, die Menschen sich und anderen antun können und antun, sind kaum auszumalen und kaum auszuhalten. Obschon die Insassen aufgrund ihres miserablen Vorlebens völlig zurecht davon ausgehen können in der Hölle gelandet zu sein, erschaffen sie selbst erst die schiere Hölle.

Die Quintessenz aus Sartres Werk ist: wer zu begreifen versucht wer man ist oder wer man sein will, wird sich stets auf die Meinung und Kritik Anderer beziehen – ob dies jedoch das Ich zufriedenstellt bleibt fraglich.