Unspunnen

Als die von Napoleon eingerichtete Helvetische Republik noch vor der Schlacht von Austerlitz ihr Ende feierte, gefiel es dem Berner Bürgertum ein Älplerfest zu organisieren. Stadt und Land sollten wieder näher zusammenrücken, gemeinsame Wurzeln erkennbar und das nationale Pathos reanimiert werden. Vielleicht waren die Eidgenossen es auch einfach leid, mit einer farblich fragwürdigen Trikolore in Verbindung gebracht zu werden und strebten nach markenreiner Swissness.

Volkssport und Brauchtum trafen sich 1805 bei Interlaken erstmals zum fröhlichen Miteinander. Anfang September 2011 kommt es aufgrund der sehr unregelmässigen Wiederholungen zur erst 11. Auflage des Unspunnenfestes, dem Wimbledon der Eidgenössischen Älplerfeste.

Der originale Unspunnenstein ging im Lauf der Zeit schlicht verloren. Die Steinstosser beschafften sich im Berner Oberland einen Ersatzstein, welchen Jurassische Freischärler 1984 entführten. Der Konflikt zwischen Bern und Jura scheint auch nach der Kantonsneugründung von 1978 munter weiter zu schwelen, der Schwelbrand selbst begierig auf symbolbefrachtetes Gestein zu sein.

Der von den Kidnappern durch das Anbringen von Europasternen entweihte Stein wurde zwar 2002 zurückgegeben, doch kurz vor dem letzten Fest erneut entwendet und an seiner Stelle ein Pflasterstein mit Jura-Wappen zurückgelassen. Bei dieser Aktion schimmerte immerhin etwas Humor durch…

Jüngst nun die nächste Schreckensmeldung: für das diesjährige Fest musste „aus gesundheitlichen Gründen“ der bereits getaufte Siegerstier ausgetauscht werden!

Volksbräuche haben es echt schwer.

Sexologie

«Alle sind sie geile Tiere, nur vom Vögeln wird gequatscht» ätzte Salomé farbecht in Super-8 im Berlin der 80er ins Mikrophon.

Eidgenossen sind offensichtlich giggerig. Wie das im Zugabteil verwaist zurückgebliebene Westschweizer Revolverblatt Le Matin titelt, haben die Schweizer sogar Lust auf mehr und erreichen in der hausgemachten Gruppensex-Rangliste den ehrenhaften Bronzeplatz in Europa — Respekt!

Zufällig wurde am selben Tag im Nordostschweizer Blick am Abend die brünstige Serviertochter Heidi mit ihrem auserlesenen Musikgeschmack und ziemlich ausgefallenen Hobby vorgestellt:

Sprachgrenzenlos oversexed and underfucked — perhaps.

Kiffer Gang

Für pauschalreisende Individualtouristen hat railtour.ch im aktuellen Reisekatalog (auf Seite 10) einen bewusstseinserweiternden Lustwandel im Sonderangebot:

Hier noch zwei Gratis n.

Yo, Kiffen ist Mainstream und seit Clinton muss man nicht mal mehr inhalieren. Und weil zudem in den Niederlanden seit Kurzem verboten ist, in einschlägigen Coffee Shops Ausländern Stoff zu verkaufen, bleibt es wohl beim reinen Sightseeing für Kinder ab 18.

Arty-farty

Kunstmesse? I would prefer not to.

Eine Freikarte lockte mich aus meinem Bau ins Freie nach Basel – Art 42. Watn Auftrieb, wat für Menschen: geführte Kunstliebhaber, windschnittige Galeristen, Businesstypen, Aufmerksamkeit heischende Selbstdarsteller und ein paar wirkliche Unikate. Unüberhörbar international, babylonisch fast, doch immer pittoresk und ziemlich gediegen. Eine Ahnung von viel viel Geld liegt in der Luft.

The Art Newspaper titelt: «Sales forcast: fair». Fair enough. Untertitel: «Collectors appetite for more challenging work return — but most expensive items await buyers.» Aha, Kleinkunst kostet zwar weniger, aber die Verdauung der Sammler ist der gestiegenen Anspruchshaltung gewachsen. Boomfaktoren werden auf der Leistungsschau penibel notiert.

Selbst kaum Sammler und noch weniger Galerist liess ich die kleintierzüchtermässig aufgebaute Verkaufsschau links liegen und konzentrierte die Sinne auf die Begutachtung der Art Unlimited-Halle. Gegenwartskunst — gross und auffallend präsentiert. Im zweiten Stock ein Kinderhort, wo kunstaffine Eltern ihre spielsüchtigen Kids parkieren können. Letztere haben dort wirklich ihren Spass, nur eines weinte und schrie ausdauernd.

Zwei Stunden später dann mit Kind endlich runter und rein ins Marktgeschehen. Ein Schmunzeln — hm, da hat also jemand eine Erdkrume in seine Ausstellungsbox gepackt und das funktioniert?

 Petrit Halilaj – Art Statement

Es funktioniert weil brachial und ganz und gar ungekünstelt. Nichts ist realer als die Wirklichkeit. Auch wenn Gras darüber wächst…

Dann eine Offenbarung: ein Triple-Mobilee aus runden Audiospotlights und Spiegeln. Holosonic-Guru Josef Pompei entwickelte die Lautsprecher, welche einen gebündelten Ultraschall aussenden. Der Soundtrack erinnerte zunächst an AMM, rasch wurde jedoch hörbar, dass da mehr drin sein muss. Multitracks, Multilayers und Aufnahmen vom Jodrell-Bank-Radioteleskop wurden mit Eigenkompositionen des Künsters gemischt und ergaben einen sphärischen Raumklang der die Hirnrinde angenehm reizte. Tolle Sache, anregende Hörerfahrung!

Erwartungsgemäss, könnte man meinen, da der Konzeptkünstler früher viel mit Derek Jarman und Throbbing Gristle gewerkelt hat.

Cerith Wyn Evans – C=O=N=S=T=E=L=L=A=T=I=O=N
(I call your image to mind)

Das Kind ist jedenfalls prima dabei eingeschlafen und das Lustwandeln konnte in ungeordneten Bahnen weiter gehen.

Das Messe-Publikum selbst übte zunehmend die grössere Faszination auf mich aus: was da alles rumläuft und wie! Schick, schräg, schön. Sicher gab es noch die eine oder andere ansprechende Arbeit, an Erdkrume und Klang-Mobile kam aber nix mehr ran.

But this one is for Joken:
Irgendwie bin ich dann doch eher zufällig über die Box von Erik van Lieshout gestolpert, obwohl die fünf Meter hoch und direkt am Eingang/Ausgang platziert war. Der Name des Ex-Sparringpartners war mir wieder einmal entfallen — einfaches Resultat zu vieler Kopftreffer…

In der Box lief ein Film, den ich aber bloss bis zur eindeutigen Identifizierung meines früheren Kontrahenten anschaute, schliesslich konnte das Kind ja plötzlich aufwachen oder in einem unbewachten Augenblicke gar entfleuchen. Von aussen war die Box eh schöner.

Zum Abschluss des Tagesausflugs in die illustre Kunstwelt gab es noch ein Stelldichein mit der Miss Art:

Vielleicht hat der unbekannte Sprayer nicht ganz unrecht, als er kundtat:

«Kunst ist ein Code der Gebildeten,
um sich über die Unterschicht amüsieren».

Amen.

Skiheil

Die Schweizerische Volkspartei ist bekanntlich immer für einen guten Spass zu haben. Unlängst stellte einer der aufrechten SVPler im Parlament den Antrag das Hissen der Europaflagge in der Schweiz zu verbieten, weil durch «diese hinterhältige Praxis» eine «symbolische Manipulation» erfolge. Dem ärgsten Manipulator — dem Internet nämlich — wollte er das Europa-Logo gleich mit verbieten lassen…

Auf der Suche nach Kandidaten mit einem ähnlich stramm eidgenössischen Profil für die anstehenden Nationalrats-Wahlen ist die SVP bei einem Ex-Skirennfahrer und passionierten Baggerfahrer in Davos fündig geworden.

Eine amüsante Realsatire aus der Graubündner Bergwelt.