Gulagchampagner

Die Infragestellung staatlicher Kunst- und Kulturförderung in der Schweiz findet ihren reisserischen Ausdruck auf der Titelseite der Weltwoche, dem national-konservativen Sprachrohr der geistigen Landesverteidiger. Dort wird behauptet, Kunst komme von Kassieren und man führt Nachforschungen über Kultur-Subventionen durch.

Dass es im Kulturbetrieb Seilschaften gibt, dass es im Gedränge um die besten Plätze am Futtertrog zu Günstlingswirtschaft und Neid kommt ist offensichtlich. Staatliche Kunstförderung und deren Verteilung ist ein wohl bekanntes und immer wiederkehrendes Streitthema: wie viel Kunst soll und kann sich eine Gesellschaft leisten — was kann und soll Kunst leisten? Kann sich in einer modernen Zivilisation Kunst und Kultur den kapitalistischen Marktmechanismen ohne allzu grosse Reibungsverluste aussetzen?

Doch der populistisch getünchte neoliberale Kulturrevisionismus, einhergehend mit der Ab- und Umlenkung einer gerade noch lauwarmen Abzocker-Debatte, ist blosse Propaganda. Aber völlig klar, die plumpe Rechnung muss ja irgendwie halbwegs aufgehen: Künstler sind eher progressiv und weltgewandt, subventionierte Bauern meist konservativ und lokalpatriotisch. Und ein gut abgehangener Anker ist halt währschaft und kein Nestbeschmutzer.

Entrüstung

Im herzigen Stimmungslokal Schweiz lockt Mitte Februar 2011 schon wieder ein Blockbuster an die Wahlurne: die Waffenschutz-Initiative fordert die Heimabgabe von Armeewaffen zu beenden, die Einführung eines zentralen Waffenregisters sowie für Waffenträger einen Bedarfs- und Fähigkeitsnachweis. Überflüssige Schusswaffen sollen aus dem Verkehr gezogen und die zahlreich zu Hause gelagerten militärischen Schiessprügel fortan in den lokalen Zeughäusern gelagert werden.

Waffenlobbyisten und andere Schiessbudenfiguren argumentieren, dass nur ein Staat, welcher seine Bürger fürchte, diese zu entwaffnen strebe. Ein wirklich entwaffnendes Argument: freies Schussfeld für freie Bürger.

Sockenschussgefahr: Co-Präsident der vereinten Initiativgegner

In jedem dritten Schweizer Haushalt befindet sich eine Feuerwaffe. Nach den USA und Jemen liegt die Schweiz in Bezug auf die Waffendichte auf Platz drei. Bei Suiziden mit Schusswaffen sind die Eidgenossen Europameister: mit einem Anteil von 34% treffen sie bei fast 10% Vorsprung auf Vize Finnland mehr als dreimal häufiger ins Schwarze als der europäische Durchschnitt.

Ebenso wie bei den vorherigen Angst-Kampagnen der SVP («Schweizer wählen SVP» ist der urchig-völkische Slogan für die Parlamentswahlen im Herbst) schafft auch bei dieser, das rechte Nationalverständnis empfindlich berührenden Kampagne, die teutonisch geführte Werberkameradschaft die visuell drastischste Zuspitzung der Zielvorgabe:

qualmender Fremdländer + rauchender Colt = kalter Schweiss

Nabelschau

Der angesagte Schweizer Autor Martin Suter webt den Zeitgeist in seine Verse und veröffentlicht unentwegt allerhand. Viele seiner Stories sind geradezu filmreif angelegt und lesen sich flüssig weg. Sanfter Tiefgang ohne viel Grund aufzuwirbeln — ein schlauer Ex-Werber schreibt feine Prosa entlang der sollbrechenden Nahtstelle von Schein und Sein.

Vor kurzem adaptierte der Meister des urbanen Mainstreams die Geschichte eines seiner Kolumnenhelden gar zu einem Musical in schweizerdeutscher Mundart. Zusammen mit einem musikalischen Möchtegern-Eisbären bringt «Geri» die etwas absurde Geschichte eines Stadtzürcher Szenis auf die Bühne, der in seinen krampfhaften Bemühungen in sein zu wollen ziemlich out rüberkommt. Für die lässige Yuppie-Clique um Geri werden dessen permanente Fauxpas unerträglich, für ihn selbst — gruppendynamisch isoliert — die Startrampe ins private Glück.

Die artverwandten doch grundverschiedenen Szenis werden erkennbar herausgearbeitet und aufgrund des déjà-vu-Effekts geschwind der Lächerlichkeit preisgegeben, bevor beim Publikum eine humorlose Selbsterkenntnis einzusetzen vermag. Szenentypische Mechanismen und die daraus resultierenden Gruppenzwänge werden in ihrer ordinären Oberflächlichkeit witzig blossgestellt. Was allzu leicht ganz banal absaufen könnte, hält sich auch dank manch schenkelklopfender Lacher („integrierter Dütscher“, „Neo-Retro“) über Wasser. Endorphintrunken trägt das Publikum selbst das Stück über alle Untiefen.

In dem amüsant choreografierten Singspiel beeindruckt die junge Carol Schuler besonders, und das nicht nur aufgrund ihrer krawalligen Röhre. Musikalisch geht Eichers Material gut ins Ohr und wird kompetent von der prima funktionierenden Liveband auf der Bühne intoniert, doch fehlen einfach die Überraschungsmomente. So wie in der pittoresken Handlung selbst, die ohne Haken und Ösen aalglatt mit einem grellen Happy End ausklingt.

Die leichte Kost wird appetitlich angerichtet, stilvoll elegant dargereicht und drückt auch nach dem Genuss kein bisschen aufs Gemüt – schöngeistiges Appeasement-Theater à la Zurichoise.

Jahresabschlussbericht

Der Hosting-Bot teilte folgendes mit:

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Wutbürger November 2010
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Roger & Out.

Also mehr wütende Osterhasentöffburger, vögelbefreite Aktzeichen und vor allem swisspaschwingende Negerköpfe.

Dreikönig

Jawohl ja, das Tripple ist geschafft:

Was im letzten Jahr noch schieres Glück war, wird allmählich zur Routine. Obwohl die harte Konkurrenz heuer personell deutlich verstärkt auftrat, war der Titelverteidiger nicht zu beeindrucken. Reichlich abgeklärt fingerte er aus dem vorletzten Brötchen den begehrten Plastikkönig.

Zwar König für nur einen Tag, doch dies gleich dreimal — Schlag auf Schlag auf Schlag!

Sonn & Mond

Maximale terrestrisch Annäherung an das Zentralgestirn am 3. Januar 2011 um 20:01:14 hiesiger Uhr, wie immer (in letzter Zeit) kurioserweise im Winter, aber bei 147 Millionen Kilometer mit genügend Sicherheitsabstand.

In ca. 16.000 Jahren schliesslich fällt die geringste Erde-Sonne Entfernung in die Nähe des astronomischen Sommerbeginns auf der Nordhalbkugel: Stichwort Präzession-Taumel contra Perihel-Schwankung.

Die Wetterkapriolen im 19. Jahrtausend werden bestimmt ganz besonders lustig…

PS: Zuvor aber macht sich nach der Erde-Sonne-Intimität am direkt darauf folgenden 4. Januar 2011 der ausgehungerte Neumond über die Sonne her: vormittags gegen 9.30 Uhr ist von der Sonne nur noch ein Drittel bis zu einem Viertel in Abhängigkeit von Standort und Wetterlage übrig.

Ein kosmisch rasanter Start — have a nice one too!