Werbewirkung

In einer Ausstellung im Museum für Gestaltung in Zürich wird Oliviero Toscani mit einer Retrospektive bedacht, welche erstmals sein gesamtes Werk umfasst. Der ab 1983 als Werber für Benetton bekannt gewordene Fotograf, Creative Director und Bildredakteur hat ohne vorherige Deutschkenntnisse seine Ausbildung an der Vorgängerin der ZHDK in den 1960ern gemacht und damit die Basis für seine internationale Karriere gelegt. Nach einem Stipendium in den USA kam er in Kontakt mit Andy Warhol und dessen legendärer Factory. Aus jener Zeit stammen auch die meisten Portraits der Ausstellung, die in Zürich gezeigten spätere Arbeiten umfassen beispielsweise die Bildwände «United Colors of Sexes» von 1993 zur Biennale.

Die kontroversen Kampagnen für das italienische Modehaus Benetton thematisierten Gender und Rassismus, Ethik und Ästhetik. Teilweise wurden die schockierenden Plakatmotive vor Gerichten verhandelt, oft verboten und vielmals geächtet, wobei sie gleichzeitig immer Gesprächs- und Diskussionsstoff boten. Den Vorwurf er wolle mit seinen Eyecatchern Pullover verkaufen konterte er damit, dass er mit den Pulloverkampagnen gesellschaftliche Realität abbilden wolle. Zum Tode geweihte AIDS-Kranke, brennende Autowracks nach einem Attentat durch die Mafia, blutgetränkte Kleidung eines Opfers im jugoslawischen Bürgerkrieg, Kopulation eines dunklen Hengstes mit einer weissen Stute. Was heute noch immer stark wirkt ohne zu verstören war damals meist Skandal. Die Bildsprache von Toscani bleibt weiterhin gut verständlich und als Werbung schlicht ikonisch.

Danger in Luzern

Seit dem überwältigende Erfolg der deutlichen Ansage in «Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt» durch Danger Dan stand eben jener schon ziemlich lange nicht nur auf der eigenen Wunschliste; entweder ziemlich rasch ausverkauft oder aber terminlich und örtlich unpassend. Beim dritten Versuch hat es nun endlich geklappt und eines der letzten Tickets konnte ergattert werden. Die Vorfreude war riesengross, das Wetter prima und mit etwas zeitlichem Vorsprung konnte nun auch die architektonische Schönheit KKL näher in Augenschein genommen werden. Das freitragende Dach und der Balkon ganz oben stilvoll und mit schöner Aussicht aufs Alpenglühen. Wirklich eine kleine Preziose dieses Luzerner Konzerthaus!

Zur Einführung kokettierte der Kurator schon ein wenig mit seinem Publikum, als er aus dem bildungsbürgerlichen Blatt NZZ vorlas, welches ein sich dezidiert politisch äussernden Liedermacher auf einem Klavier-Fest als Fehlbesetzung hinterfragte. Zitat: «Ob das alles noch von der Idee eines traditionellen Klavierfestivals gedeckt ist, steht auf einem anderen Blatt.» Doch Igor Levit und Danger Dan hatten Heimspiel sowieso und Auswärtsfans waren quasi nicht zugelassen.

Das den Wert der Tradition so nicht unbedingt teilende Publikum betrachtete die kurze Lesung als muntere Auflockerung und quittierte mit lautem Lachen und ironischem Applaus.

Foto: © Patrick Hürlimann

Zunächst mit Solo-Programm alleine auf der Bühne, später dann mit einem engagierten Heck Quartett und noch etwas später, als der Liedermacher am E-Piano anscheinend nicht mehr weiter wusste, half der vom Publikum mit Igor-Rufen geforderten Edelpianist selber aus und zeigte, welche Töne aus den Tasten zu holen sind, wenn man Noten lesen kann. Denn das DER Unterschied – Levit hatte sogar einen Assistenten, der das iPad mit Ständer auf die Bühne brachte, von dem fleissig abgelesen wurde…

Foto: © Patrick Hürlimann

Daniel und seine Freunde lieferten – donnernd und bebend tobte der bis zum 4. Rang gefüllte Saal und fast alle machten mit, als Danger Dan darum bat die Handylampen zu einem Liebeslied aufleuchten zu lassen. ESC? Noe. Schlager kann auch Antifa.

Foto: © Patrick Hürlimann

Trotz aller professionellen Bühnenpräsenz liess Danger Dan in den Zwischenansprachen immer auch das menschliche und politische Ansinnen durchscheinen, besonders als von den Streichern eine sich gegen den Nazi-Terror richtende Komposition «Mein Vater wird gesucht» von 1935 musikalisch eindrücklich und berührend gegeben wurde. All das sicher keine Pose, sondern ernsthafte Haltung, wenn es weiter um rechte Rattenfänger, Sextouristen in Thailand oder den alles verzehrenden Kapitalismus wie in Ölsardinienindustrie ging.

Nach der zum Kafka-Jahr passenden Verwandlung und vollends glücklich berauscht rollte der äusserst gelungene Luzerner Abend noch selig mit im Zug retour nach Zürich.

Aber dann kommt die Angst so zu sein, wie du warst
Löst die Ängste aus deiner Vergangenheit ab
Du erinnerst dich nicht, aber ganz genau das
Was du bist, wolltest du nie werden, hast du gesagt
Die Angst so zu sein, wie du warst
Löst die Ängste aus deiner Vergangenheit ab
Eines Morgens wachst du auf in der Gestalt eines Käfers
Die Verwandlung kommt über Nacht


PS: Ein herzliches MERCI an den Fotografen Patrick Hürlimann, über den ich einige seiner schicken Bilder direkt vom Lucerne Festival erhalten konnte. Das natürlich Kirsche auf dem Sahnekuchen!

PPS: Vom Festival selbst gab es es für alle Gäste noch einen netten Rückblick auf Youtube.

 

Igor kanns

Zur Begrüssung hat Pianist und Kurator Igor Levit das Programm vom Luzerner Klavier-Fest kurz vorgestellt, nicht ohne besonderen Hinweis auf seinen ebenfalls politisch voll korrekten Bro, nämlich den gefährlichen Daniel, welcher am Sonnabend laut Levit nur wegen ihm sein einziges Solokonzert in 2024 spielen wird! Vermutlich wird zur Kunstfreiheit referiert und der Hobbyschweizer kann den konzertanten Vorsommer weiterhin livehaftig geniessen. Ob das Klavier eventuell mit Strom verstärkt wird, wird sich weisen dann.

Zum Aufwärmen der puren Handarbeiten am Eröffnungsabend gab es etwas Bach, gefolgt von einem hübschen Brahms-Konzert und nach der Pause die wirklich tolle Interpretation der 3. Sinfonie von Beethoven in der Klavier-Version von Liszt. Nach der gefühlvollen und heftigen viersätzigen Bearbeitung des Flügels schwappte der stehende Applaus nur so durch den Saal, Bravo-Rufe allerorten und auch sonst war für CH-Verhältnisse eine sehr ausgelassene Stimmung im Saal – alle waren hin und weg von der faszinierenden Darbietung eines wahren Könners.

Als Betthupferl gabs fürs artige Publikum noch den Mittelsatz aus der Pathétique-Sonate vom Beethoven-Zyklus zum sanften Runterkommen. Richtig wohltuend und mir war bereits vorher klar, dass der Igor zum Schluss noch einen Beethoven-Joker ziehen wird. Überragend gespielt Herr Levit!

Apropos, falls Nemo mit seiner Scheibe gewönne stünde mit dem KKL ein prima ESC-Austragungsort zur Verfügung, kleine aber feine Schuhschachtel mit überragender Akustik!