Lee „Scratch“ Perry ist ein lebendes Reggae-Fossil, der mit seinen fast 80 Jahren noch regelmässig vor Publikum auftritt, um seine irrwitzigen Toasts zu deklamieren. Seine in den 70ern neue Aufnahmetechnik erlaubte ihm, durchgeknallte Dub-Versionen von Studio-Produktionen zu erstellen, und diese gleich in unzähligen Variationen. Hier eine Bassline, dort ein Riddim, alles wurde immer wieder neu zusammen „getaped„, so dass er und die Plattenfirmen langsam aber sicher den Überblick über die ausufernden händische Samplereien verloren.
In einer Art ewigen Recyclings benutzt er auch heute bei seinen Auftritten Teile jener reggaetypisch stark basslastigen aber melodisch recht einfach gehaltenen und nur durch punktuelle Akzentuierung rhythmisch betonten und dadurch hypnotisierend wirkenden Tonfolgen. Und in seinem Portfolio befinden sich etliche davon, hat er doch in den letzten fünfzig Jahren mit Bob Marley, Max Romeo, King Tubby, Adrian Sherwood, Mad Professor, Sly & Robbie und zahllos anderen Musikern kollaboriert.
Im Zürcher Club Exil hatte Scratch nun wieder einmal ein Heimspiel; gewohnt humorvoll und spontan spann er seinen epischen Faden um die immer wiederkehrenden Themen Babylon (must die), Devil (is dead) und Pussy (I am the Pussy Conquerer, meow!). Er sprach viel von Liebe und Sonne, dem Tod und dem Wetter und dass er all dies beeinflussen könne. Man mochte ihm fast glauben, als er Marleys „Sun is shining“ anstimmte. Here I am. Von der sonst üblichen Jah oder Rastaman-Ideologie war nichts zu hören, dazu ist das phantasievolle Unikum spirituell mittlerweile viel zu universell aufgestellt.
Es gibt nicht die klare Linie, die Soundstrukturen werden ihm digital vorbereitet live zugemischt und er spricht aus, was ihm gerade durch den Kopf geht. Trotz aller Routine in dem ihm eigenen cartoonesken Sprechgesang ist seine performante Eklektik anrührend. Seine verlautbarten Spinnereien sind liebenswert und wirklich ziemlich crazy. Doch ältere Männer, die etwas Kind in sich bewahrt haben, waren mir schon immer sympathisch. Allerdings ist der Hobbyschweizer nicht mehr gewohnt, dass Konzerte erst um 1.30 Uhr in der Früh anfangen. Mark Stewart konnte sich in der Berliner Maria mit seiner Mafia so was noch erlauben, da war eine gewisse Kreuzberger Grundkondition sowieso Pflicht. Aber früher war halt auch die Nacht noch jünger.